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während des Interregnums, die deutschen Zustände sehr verworren gewesen. Als nun die bedeutendsten Fürsten zusammentraten, um durch eine Kaiserwahl Ruhe und Ordnung herzustellen, schlug Erzbischof Werner von Mainz, welchen Rudolph einst auf einem Römerzuge von Straßburg bis nach den Alpen geleitet hatte, den Grafen vor und bewog, indem er seinen Edelmuth und seine Klugheit laut pries, die Erzbischöfe von Köln und Trier zur Zustimmung. Was Werner mit diesem Vorschlage erreichen wollte, wird man leicht einsehen, wenn man den Charakter der Geistlichkeit ein wenig mehr als oberflächlich kennt. Der Erzbischof hoffte eben Rudolph, der sich nicht auf eine vornehme Abkunft stützen konnte, und der doch nur ihm die Krone verdanken würde, auch als Kaiser leicht leiten zu können. Daß keiner von den übrigen Fürsten sich um die Krone bewarb, könnte wunderbar erscheinen, wenn man nicht annehmen will, daß sie daran verzweifelten, die verworrenen deutschen Verhältnisse entwirren und ordnen zu können; manche mochte man auch vielleicht ihres jugendlichen Alters wegen nicht für geeignet halten. So stimmten denn auch die weltlichen Fürsten den drei geistlichen zu, wobei jedoch die Herzöge von Baiern und Sachsen und der Burggraf von Nürnberg sich Töchter Rudolphs zu Gemahlinnen ausbedangen. So trat Rudolph von vorne herein in eine ebenso ehrenvolle wie nützliche Familienverbindung zu den ersten Fürstenhäusern Deutschlands; und seiner eigenen Familie eine Hausmacht zu gründen, bot die Kaiserwürde Gelegenheit genug. Denn wenn ein Reichslehen vacant wurde, wer hatte wohl mehr Anspruch darauf als der Sohn des Kaisers, der aus Anstandsrücksichten es nicht für sich selbst einbehalten


Verhältnisse Deutschlands zu ordnen. In der That traf er für den Staat treffliche Anordnungen, aber er strebte auch mit Glück und Klugheit danach, seine eigene Hausmacht zu befestigen und zu erweitern. Daher verschwägerte er sich mit den ersten Geschlechtern Deutschlands durch ebenso ehrenvolle wie nützliche Familienverbindungen; und zur Gründung seiner Hausmacht bot die Kaiserwürde Gelegenheit genug, da man dem Kaiser, der vacant gewordene Lehen zu vergeben hat, durchaus nicht verübeln darf, wenn er auch seine Familie berücksichtigt. So gab er seinem Sohn Albrecht Oesterreich, Steiermark, Kärnthen, die Windische Mark und einige andere Länder, welche er dem Könige Ottokar von Böhmen, der sie ohne Rechtsgrund usurpirt hatte, entriß. Dazu kamen dann durch Heirathen – denn mit seinen Heirathen hat Oesterreich stets besonderes Glück gehabt – noch viele andere Gebiete. Als nun einmal die Oesterreicher die mächtigsten Fürsten geworden waren, war es nur billig, daß sie sich auch durch einen höheren Titel vor den übrigen Herzogen auszeichneten. Weil nun aber doch das junge österreichische Haus den alten Fürstengeschlechtern nicht gut auf dem Reichstage vorangehen konnte, noch auch ihnen weichen wollte, nahmen die Oesterreicher den ersten Platz unter den geistlichen Fürsten ein, die auf einer eigenen Bank sitzen. Denn von diesen, die meist aus niedrigerem Stande stammend, erst durch ihr Amt Fürsten werden, waren in dieser Beziehung nicht viel Schwierigkeiten zu erwarten. So bekamen außerdem die Erzherzöge von Oesterreich alternirend mit dem Erzbischof von Salzburg das Directorium in dem sogenannten Fürstenrathe.

Heute umfassen die Lande des Hauses Habsburg, d. h. das Königreich Böhmen und die eigentlichen österreichischen Lande den größten Theil des südöstlichen Deutschlands. Dazu kommt noch das Königreich Ungarn, das jetzt auch fast als österreichisches Erbland angesehen werden kann, seitdem durch die siegreichen Waffen des Kaisers Leopold der größte Theil dieses Landes den Händen der Ungläubigen entrissen ist.

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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/41&oldid=- (Version vom 1.8.2018)