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Landesherren bei den Kaiserwahlen einen dominirenden Einfluß hatten, daß aber nach der Zeit Friedrichs, als innere Wirren das Reich furchtbar zerrütteten, und als die übrigen Fürsten sich wenig um die Reichsangelegenheiten kümmerten, sie allein das Recht der Wahl sich anmaßten. Nachdem dies ausschließliche Wahlrecht gebräuchlich geworden und bei mehreren Wahlacten anerkannt worden war, wurde es durch die goldene Bulle feierlichst und reichsgesetzlich sanctionirt, durch welche auch der ganze Vorgang bei der Wahl geregelt und die Befugniß der Kurfürsten genau bestimmt wurden. Seitdem haben jene Fürsten auch den Titel Kurfürst angenommen, und man hat angefangen, ihnen einen höheren Rang, als den übrigen Fürsten zuzuschreiben.[1]

§. 4. Die Kurfürsten. – Fortsetzung.

Wenn demnach auch anfangs jene Fürsten grade deshalb, weil sie die höchsten Reichsbeamten waren, das Wahlrecht für sich errungen zu haben scheinen, so wurden doch später durch die goldene Bulle sowohl jene Aemter wie die Kurwürde so an bestimmte Gebiete geknüpft, daß der rechtmäßige Besitzer dieser Territorien eo ipso Kurfürst ist. Die geistlichen Kurfürsten erhalten, wie alle übrigen deutschen Bischöfe, ihre Würde durch Wahl oder Ernennung. Zu beachten ist dabei, daß, während sonst die Bischöfe der päpstlichen Bestätigung bedürfen und ihr Pallium in Rom erkauft haben müssen, ehe sie legal Amtshandlungen vollziehen können, die drei Kurfürsten schon vor der päpstlichen Bestätigung bei der Kaiserwahl mitwirken dürfen, da das Wahlrecht als eine weltliche Befugniß gilt die mit dem geistlichen Amte nichts zu thun hat. Dagegen darf nicht etwa das Capitel im Falle der Vacanz eines kurfürstlichen Stuhles das Wahlrecht ausüben. In den weltlichen Kurfürstenthümern dagegen gilt, die agnatische Linealerbfolge, und es ist Gesetz, daß weder die Kurwürde noch die eigentlichen Kurlande getheilt werden können. Wenn es sich aber um Errichtung eines neuen Kurfürstenthumes oder um Absetzung eines Kurfürsten handelt, so ist nach Reichsgesetz und Herkommen der Kaiser nicht befugt, hier ohne Genehmigung der übrigen Stände oder wenigstens der Kurfürsten vorzugehen. Freilich können aus unserem und aus dem vorigen Jahrhundert zwei Präcedenzfälle für das Gegentheil aufgeführt werden.[2] Und beide Male hat man vergeblich gegen das Vorgehen des Kaisers protestirt: denn auf bloße Worte brauchten die in beiden Fällen vom Kriegsglück begünstigten Kaiser nichts zu geben. Aber der Kaiser war doch immer vorsichtig genug, einem Fürsten aus demselben Hause, dem der Entsetzte angehört hatte, die Kurwürde zu übertragen.[3] So wurde einmal die Gehässigkeit seines Vorgehens bedeutend gemildert, und andererseits

  1. Dieser von den Kurfürsten beanspruchte höhere Rang ist übrigens von den Fürsten nicht immer zugegeben, und noch beim Nymweger Frieden ist lebhaft über diese Frage debattirt worden.
  2. Gemeint ist natürlich die Absetzung des Kurfürsten von Sachsen im 16. und die Friedrichs von der Pfalz im 17. Jahrhundert.
  3. Im ersten Falle bekanntlich dem Herzog Moritz von Sachsen, im zweiten dem Herzog von Baiern, also auch einem Wittelsbacher.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/66&oldid=- (Version vom 1.8.2018)