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Tuberkulose, zystische Degeneration, Nephrolithiasis, Nephralgie hématurique, renale Hämaturie, Wanderniere, Aplasie und Hypoplasie und analoge Erkrankungen im Nierenbecken und Ureter. Wäre noch hinzuzufügen, daß auch der genetische Entwicklungsgang bei den Sekundärerkrankungen durchaus nicht mit dem Hinweis auf die causa movens als erschöpft anzusehen ist, daß vielmehr auch in diesen Fällen die Auswahl der Niere auf vorläufig unerklärten Wegen sich vollzieht.

Sieht man von einem Erklärungsversuch ab, der sich nur auf rein lokale, in der Niere gelegene Krankheitsursachen beschränkt, so kann man die Auffassungen über Krankheitslokalisation in den Nieren übersichtlich in drei Gruppen zusammenfassen, von denen sich jede sowohl auf sekundäre als auf primäre Erkrankungen bezieht. Die eine Hypothese sucht unter Hinweis auf die „nephrotoxische" Wirkung mancher Gifte die Wahl der Niere zum Krankheitsherd erklärlich zu machen. Ihre Stärke ist das Experiment sowie eine Anzahl von Erfahrungstatsachen, die den Gedanken an eine speziell die Nieren schädigende Noxe, wie bei Scarlatina, Diphtherie und anderen Infektionen nahelegen. Dagegen ist sie auf eine größere Reihe von Nierenaffektionen nicht anwendbar, läßt eine Erklärung für das Freibleiben der Niere bei Auftreten von „Nierengiften" nicht zu und sollte nur mit Vorsicht vom Tierexperiment aus verallgemeinert werden. Jedenfalls ist uns ein Gift, das regelmäßig die Nieren und zugleich nur die Nieren schädigt, vorläufig nicht bekannt. Eine zweite Auffassung erblickt in der exponierten Stellung der Niere als Exkretionsorgan, das ununterbrochen von Abfallsstoffen des Körpers durchflossen wird, die Ursache der meisten Nierenerkrankungen. Diese Hypothese soll als zureichende Erklärung für die meisten der Nierenaffektionen genügen. Sicherlich ist ihre Anwendbarkeit eine größere und ihre Tragweite steht außer Frage, da sie nicht nur mit echten Toxinen, sondern auch mit der Vermehrung von Abfallsprodukten und mit gesteigerten äußeren Anforderungen an die Nieren rechnet. Wir sind aber auch mit dieser Auffassung nicht in der Lage, befriedigende Aufschlüsse zu geben. Auch sie läßt uns im Stiche, wenn wir die Frage aufwerfen, warum bei Vorhandensein der Prämissen, bei Anwesenheit von Bakterien im Blute, von Toxinen und Giften, bei chronischen Stoffwechselanomalien, bei Alkoholismus, Schwangerschaft, Erkältung die Nieren so häufig gesund gefunden werden. Sie versagt auch beim Erklärungsversuch einseitiger Erkrankung der Nieren, wie im Falle von Tuberkulose, Lues und Geschwülsten. — Diese und andere Unzulänglichkeiten zwingen zu einer dritten Anschauung, die auch in dieser Arbeit, wie ich glaube, mit guten

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/14&oldid=- (Version vom 31.7.2018)