des Gaumenreflexes, eines Stigmas der Minderwertigkeit des Nahrungstraktes.
Fall der Frau Nadja J. Litt bis vor 4 Jahren an hysterischen Anfällen, die mit Bewußtlosigkeit einhergingen. Auf der rechten Wange, in der Höhe der Nasenöffnung, etwa 2 cm seitwärts der Nase, sitzt ein Naevus pigmentosus. Die Mutter ist vor 2 Monaten wegen eines Karzinoms des linken Oberkiefers operiert worden. Hier handelt es sich offenbar um eine segmentäre (siehe später) Minderwertigkeit in der Gegend des Oberkiefers, deren Vorhandensein im Stammbaum sich bei Mutter und Tochter verrät.
Zum Schlusse will ich noch kurz darauf hinweisen, daß die überwiegende Mehrzahl der Karzinome sich an solchen Stellen findet, die von Freud als erogene Zonen besonders namhaft gemacht und in engste Beziehung zu den Neurosen gebracht wurden. Es sind dies Mund, After, Mamma, Genitalsphäre etc. Den Zusammenhang der Neurosen mit minderwertigen Organen besprechen wir an anderer Stelle.
In der gleichen Weise dürften sich die anderen Geschwülste der Hereditätslehre einreihen lassen. Myome habe ich selbst bei Mutter und Tochter, bei Schwestern vorgefunden. Hält man sich an die obigen Ausführungen, so wird sich die Minderwertigkeit des Organes im Stammbaum häufig nachweisen lassen.
Ich übergehe die ganze Reihe der als hereditär anerkannten Erkrankungen, muß aber summarisch darauf hinweisen, daß bei einer großen Zahl derselben von verläßlichen Beobachtern nicht etwa bloß im Krankheitsherd, sondern auch im Bereich der anscheinend gesund gebliebenen Organteile Veränderungen atrophischer oder hypertrophischer Natur nachgewiesen worden sind. Man wird derartige Nachweise nicht unbedingt fordern können. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß bei der der Vererbung unterworfenen Organminderwertigkeit nicht bloß ein einziger zum Krankheitsherd prädestinierter Teil des Organes, sondern auch angrenzende oder entferntere Bestände des minderwertigen Organes die Charaktere der Minderwertigkeit aufweisen, rein oder überwertig nach Funktion oder Morphologie, welch letztere Erscheinung als Reaktion des minderwertigen Materiales auf die relativ größeren Lebensreize aufzufassen ist. Nun wäre nichts gefehlter, als wenn man sich darauf steifen wollte, bei einer Untersuchung über das Wesen und den Umfang der Heredität alle Anomalien der Vorfahren in der gleichen Weise bei einem der Nachkommen wiederzufinden. Ebenso wie sich die Heredität an verschiedenen Stellen des Organes geltend machen kann, wo wir sie dann in der Form einer funktionellen oder morphologischen
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/37&oldid=- (Version vom 31.7.2018)