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Der häufige Befund von äußeren Degenerationszeichen bei anscheinend Normalen bietet also, in diesem Lichte gesehen, durchaus nichts überraschendes. Das äußere Stigma kann ja — wie wir meinen, vereinzelt — den einzigen Mangel in der Ausbildung des Organes bedeuten. Aber auch bei Beteiligung des zugehörigen Organes an der Minderwertigkeit kann der Mangel, soferne er geringeren Grades ist oder durch andere Hilfen kompensiert erscheint, bei ziemlichem Wohlbefinden ertragen werden. Nur darf daraus nicht geschlossen werden, wie es gegenwärtig von einzelnen Autoren geschieht, daß den Degenerationszeichen ein orientierender Wert abzusprechen sei. Im Gegenteil! Der Arzt wird lernen, aus ihnen die geringere Widerstandsfähigkeit des derzeit noch leistungsfähigen Organs zu erschließen, brüske Schädigungen fernzuhalten. Und wie bei der Besprechung der funktionellen Minderwertigkeit muß auch hier hervorgehoben werden, wie oft Organe von geringgradiger Minderwertigkeit zu größerer Leistungsfähigkeit heranwachsen können wie die vollwertigen. Die Ursache liegt in dem Zwange eines ständigen Trainings, in der den minderwertigen Organen oftmals anhaftenden Anpassungsfähigkeit und Variabilität und sicherlich auch in der durch die innere Aufmerksamkeit und geistige Konzentration auf das schwächere Organ erhöhten Ausbildung des zugehörigen nervösen und psychischen Komplexes. Die zuletzt angeführte kompensatorische Ausbildung der Nervenbahnen umschließt unter anderem auch die Ausbildung der Reflexe, einer speziellen Schutzvorrichtung und Mobilisierung des Organes.

Es ist hier nicht der Platz, eine umfängliche Darstellung der Degenerationszeichen in meinem Sinne als periphere Stigmen der Organminderwertigkeit zu geben. Meine eigene Kasuistik wäre zu dürftig. Die Literatur allerdings bietet ausreichende Belege für diese Auffassung. Nur auf einige der wichtigsten Stigmen will ich hinweisen, wie sie sich mir im Zusammenhang mit Organminderwertigkeit darboten. Angeborene oder hereditäre Bildungsanomalien des Auges, der Lider, Pigmentanomalien der Iris (Fuchs), Schichtstar, angeborene Verengung einer Lidspalte, Myopie, Hypermetropie, Strabismus finden sich häufig bei Personen, die späterhin an anderen Augenaffektionen, Retinitis, Chorioiditis, Netzhautablösung erkranken. Funktionelle Defekte sind häufig von morphologischen Anomalien begleitet. Einer Affektion an einem Auge folgt nicht selten eine andere am zweiten Auge. Die Heredität von Anomalien am Sehapparat und von Augenaffektionen steht außer Zweifel. Die Frühanamnese ist fast immer mangelhaft. Auffällig

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)