spielen. Noch weniger Beachtung fanden Steigerungen dieser Reflexe. Die allgemein üblichen Betrachtungen, die sich an derartige Befunde, insbesondere der Abschwächung, knüpften, bestehen zumeist in dem Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Hysterie, was übrigens von anderer Seite wieder bestritten wird. Sehen wir der Einfachheit wegen von organischen Nervenaffektionen ab, so muß ich die Behauptung aufstellen, daß sowohl der Mangel als auch die auffällige Verstärkung dieser Reflexe als Attribute einer Organminderwertigkeit aufzufassen sind. Als Beweis mache ich folgendes geltend: 1. Diese Reflexanomalien finden sich ungemein häufig in der Heredität oder treten auf, wo in der Heredität Erkrankungen des zugehörigen Organes nachzuweisen sind; 2. sie stehen in der gleichen Weise mit Kinderfehlern in Zusammenhang wie die Stigmen; 3. sie finden sich in Verbindung mit Stigmen der Mundzone oder wenn solche Stigmen in der Heredität vorkommen; 4. sie finden sich in Verbindung mit Erkrankung des zugehörigen Organes oder wenn solche Erkrankungen am Stammbaum vorliegen.
Bevor wir die Belege und Hinweise aus der Kasuistik in Betracht ziehen, müssen wir einige Details vorbringen, die bei Nachuntersuchungen Berücksichtigung verdienen. So bezüglich der Prüfung der Reflexe. Die Autoren lassen keinen Zweifel über den Zusammenhang der Reflextätigkeit und der Psyche. Einiges soll hier noch hinzugefügt werden. Wenn man sich beispielsweise auf die Prüfung des Gaumenreflexes einläßt, so kann man leicht finden, daß das Ergebnis variiert, je nachdem der Patient durch die Prüfung beeinflußt wird. So kann es geschehen, daß eine zweite Untersuchung durch Berührung des Gaumens in der Höhe des Uvulaansatzes einen größeren Ausschlag im Sinne eines Würgreflexes ergibt, aber auch einen kleineren. Im ersten Falle muß angenommen werden, daß durch die erste unvermutet vorgenommene Prüfung beim Patienten ein Ekelgefühl rege geworden ist, das bei der zweiten Berührung sieh bereits manifestiert. Es ist klar, daß wir es in diesem Falle nicht mehr mit der normal vorhandenen Reflextätigkeit am weichen Gaumen, sondern mit einer psychisch begründeten und vertieften Ausstrahlung zu tun haben, die zuweilen steigerungsfähig und mit einer Affekterscheinung verwandt ist. Ich werde durch folgende Ergebnisse in dieser Auffassung bestärkt: die Prüfung des Würgreflexes durch Berührung des Rachens, der hinteren Rachenwand, ist oft positiv, wo die Berührung des weichen Gaumens kein Ergebnis liefert: der weiche Gaumen scheint in diesen Fällen aus der Reflexzone ausgeschaltet zu sein. Dieses Verhältnis findet sich ziemlich häufig bei Kindern bis zum
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/57&oldid=- (Version vom 31.7.2018)