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bereit. Auch war durch eine Menge Zelte und Laubhütten für Herberge und Beköstigung der Zureisenden gesorgt.

Uebrigens bildete der von Holz und Steinen gereinigte Hauptplatz eine mit Netzen umgebene, 160 Fuss lange und 100 Fuss breite Ebene.

Mehrere vorangegangene Regentage machten für den Fortgang des Festes besorgt. Aber am 18. Sept. strahlte die Morgensonne hell und freundlich, kein Wölkchen trübte den weiten Horizont.

Mit wehenden Fahnen und klingendem Spiele zogen die Schützen aus vier umliegenden Städten den Berg hinauf, sowie sich auch eine Abtheilung von 70 Mann reitender Artillerie mit ihren Geschützen eingefunden hatte. Viele Tausende aus Nah und Fern, sogar aus dem Herzogthum Sachsen, waren herbei geströmt, um dem Feste die höhere Weihe zu geben. Vormittags 11 Uhr verkündete siebenmaliger Kanonendonner das Beginnen der Feierlichkeiten. Fünfzig grün und weiss gekleidete Jungfrauen, mit Kränzen geschmückt, Töchter des Vereins, Blumenkörbchen an den Armen, sowie die schwarz gekleideten Stellvertreter des Vereins, nebst mehreren hohen Staatsbeamten und Militairs, standen versammelt in der Nähe des Berghäuschens, wozu auch fast alle Greise der nächsten umliegenden acht Dörfer, begleitet von ihren Gerichtspersonen, traten. Vom Häuschen herab stimmte unter vollster Musikbegleitung ein Gesangchor das Morgenlied an: Dank dir, das Dunkel ist vergangen etc. Hierauf zogen unter sanfter Musikbegleitung die sämmtlich hier Aufgestellten Paarweise zu dem, von den Fahnen der Schützen beweheten und von ihnen selbst im Halbkreise umschlossenen Laubthrone. Einen entgegengesetzten Halbkreis bildend, standen jetzt die Jungfrauen vor diesem Throne und ihre beiden Repräsentantinnen legten opfernd einen Kranz auf den Altar. Der damals noch geistig starke, nunmehr verblichene Hofrath Böttcher betrat die linke Seite der Bestufung als Redner und schloss mit den Worten: „Das ganze Land ist eine Opferflamme. Heil unserm König! Heil dem ganzen Stamme!“

Hierauf fiel das Musikchor kräftig ein, und die beiden jugendlichen Priesterinnen traten dem Bilde des Königs näher, und eine derselben, den vom Altare genommenen Kranz in der Hand, sprach ein herrliches Gedicht. Bei den Worten: „Streuet die Blumen aus, Schwestern,“ stellten die Jungfrauen durch das Ausschütten ihrer Blumenkörbchen einen dem Hochgefeierten zu Füssen gelegten, lebenden, reizvollen Blumenkranz dar, wobei die Rednerin mit Hülfe ihrer Gefährtin das Jubellied mit dem Opferkranze krönte, und bei Vollmusik ertönte aus Aller Munde der Festgesang: „Heil Dir im Jubelkranz, Vater des Vaterlands, Heil König Dir!“

Hierauf brachte Hofrath Böttcher dem Könige ein dreimaliges Lebehoch, wobei 101 Kanonenschuss salutirte. Nach dieser Festlichkeit wurden die Tafeln geordnet, wo das Ganze einem Lustlager glich und wo Tausende auf das Wohl ihres treuen, hochherzigen Landesvaters die Pocale schwangen. Herrliche Toaste hörte man von Böttcher und vielen Andern.

Nachmittags um 4 Uhr stellten sich die Greise nochmals vor das Bild des Königs und der Schullehrer Hapatzky aus Ober-Lichtenau hielt eine vortreffliche Rede, nach deren Beendigung das Lied ertönte: „Nun danket Alle Gott.“ Das Musikchor fiel mit ein und tief ergriffen die versammelte Menge. Es sind solche Augenblicke nicht zu beschreiben, sie müssen mit erlebt, mit gefühlt werden. Unwillkührlich wird das Herz höher und höher gehoben und in den Augen erblickt man das äussere Zeichen der inneren Regung.

Am Abend war Feuerwerk, bei dessen Beschluss über einem in blau brennenden Vivat des theuren Königs Name flammte. Hierauf folgte im Saale ein glänzender Ball, und auch im Waldhäuschen bewegten sich fröhliche Tänzer. Den ganzen Berg beleuchtete bis zur Dämmerung des nächsten Morgen ein brennender Holzstoss und nah und fern brannten zugleich auf Sachsens Höhen himmelansteigende Opferflammen.

Solch einen durch dieses seltene Fest, sowie durch seine Lage sich auszeichnenden Berg mussten wir in diesem Album eine Beschreibung widmen, die nirgends besser an ihrem Platze war, als gerade hier.

Sonst wurde alle Jahre auf dem Augustusberge am Mariä-Heimsuchungstage ein Scheibenschiessen gehalten, wobei die Besitzer von Ober-Lichtenau einen silbernen, mit ihrem Wappen gezierten Becher als Hauptgewinn schenkten, auch Geldmünzen, Gebacknes und dergleichen von dem aufwärts zum Häuschen führenden Gange unter das versammelte Volk warfen. Stunden, ja Meilen weit kamen Schützen und Zuschauer zu diesem beliebten Volksfeste, und die ganze Umgegend freute sich lange vorher auf dasselbe; denn an einem solchen Tage war der ganze Berg lebendig und man wähnte sich auf einen grossen Jahrmarkt versetzt.

Nun zurück zur Beschreibung von Ober-Lichtenau selbst. Durch die Versetzung des Ritterguts nach Ober-Lichtenau wurde auch der Bau einer eigenen Kirche und Schule daselbst veranlasst. In früheren Zeiten war hier keine Kirche, sondern eine Kapelle, die durch den Burgkaplan des Besitzers von Lichtenau bedient wurde. Diese Kapelle, die durch den hiesigen Einwohner Martin Richter erweitert wurde, hat alle Rechte einer Pfarrkirche ausgeübt bis zu der Zeit, wo Ober-Lichtenau eine grössere Kirche erhielt. Die Kapelle ist seitdem ganz eingegangen; sie stand in der Mitte des obern Dorfes. Früher waren Nieder-Lichtenau und der untere Theil von Ober-Lichtenau nach Reichenbach eingepfarrt, der übrige Theil des letztern aber nach Obergersdorf eingekircht.

Der obere Theil von Ober-Lichtenau trennte sich aber später von dieser Kirche, während Nieder-Lichtenau und 13 Häuser von dem niedern Theile Ober-Lichtenau’s noch jetzt nach Reichenbach eingepfarrt sind.

Durch den Grafen von Holzendorf als Collator über Kirche und Schule zu Ober-Lichtenau wurden die geistlichen Gebäude incl. der Kirche im Jahre 1742 in einen bessern Stand gesetzt.

Unter Marcolini begann die Erbauung der vielen neuen Häuser, die bis auf die neueste Zeit sich stets vermehrt haben und bis zur Zahl von 158 angewachsen sind, während Nieder-Lichtenau nur 41 besitzt.

Die Einwohnerzahl von Ober-Lichtenau beträgt 846, die von Nieder-Lichtenau 223, welche sich grösstentheils mit Lein-, Zwillicht- und Merliweberei beschäftigen. Sie arbeiten theils für sich und auf eigne Hand und beziehen mit ihren Waaren die Märkte.

Ober-Lichtenau und Nieder-Lichtenau gehören zum Gerichtsamte Pulsnitz.

M. G.     
Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Poenicke: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen III. Section. Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser, Leipzig 1859, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Ritterg%C3%BCter_und_Schl%C3%B6sser_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_III.djvu/253&oldid=- (Version vom 31.7.2018)