Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen II. Section | |
|
Am Fusse der reizenden Golberoder Höhe, in einem der vielen lieblichen Gründe, welche unterhalb Dresdens die Ufer der Elbe durchziehen, liegt an einem kleinen Bache das Rittergut Nickern, sammt dem Dorfe gleichen Namens. In einem Diplom vom Jahre 1288, worin der Custos des Bisthums Meissen, Conrad von Boruz, die Umgegend Dresdens mit ihren Ortschaften beschreibt, wird auch nebst sechsundzwanzig andern Dörfern „Nicur“ genannt; im siebzehnten Jahrhundert hiess es Nicorn. Der Ort hat in dreiundsechszig Feuerstätten etwa dreihundertzwanzig Einwohner, welche unter gewissen Beschränkungen das Recht haben, freien Mehl- und Brodhandel nach dem eine und eine halbe Stunde entfernten Dresden zu treiben, und sich hauptsächlich von Feldbau, Handwerk, Strohflechten, Strohnähen und Handel mit diesen Fabrikaten nähren. Den freien Verkauf von Mehl und Brod erlangten die Bewohner Nickerns und des nahen Dorfes Lockwitz dadurch, dass sie im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts, wo die Hauptstadt Dresden von einer furchtbaren Pest heimgesucht und von allem äusseren Verkehr abgesperrt war, den unglücklichen Bürgern Brod und Mehl über die Stadtmauer reichten, und durch diese Leben und Gesundheit gefährdende Aufopferung einer Hungersnoth in der verpesteten Stadt vorbeugten. Georg der Bärtige damaliger Landesherr, schenkte und bestätigte ihnen in den Jahren 1522 und 1527 das Recht des freien Brod und Mehlhandels nach Dresden. Im dreissigjährigen Kriege begleiteten Weiber aus Lockwitz und Nickern, die Schürzen mit Steinen gefüllt, die Mehl- und Brodwagen, welche nach Dresden fuhren, und sobald Streifpatrouillen herankamen, um die Wagen anzuhalten, flüchteten sich die Weiber auf und hinter diese, und begrüssten die Soldaten so lange mit einem heftigen Steinregen, bis Bauern oder befreundete Truppen herbeieilten und die Plünderer vertrieben.
Als im Jahre 1680 Dresden abermals von einer Seuche heimgesucht wurde, verbot zwar der Rittergutsbesitzer auf Lockwitz und Nickern den Freihandel nach Dresden zu betreiben, das dortige Gouvernement aber verlangte ihn, und weil es mit Entziehung des Privilegiums drohte, musste man sich fügen und die Brodlieferungen fortsetzen. Da nun aber die Vortheile, welche dieser Handel brachte, die Zahl der Theilnehmer unaufhörlich vermehrte und die dadurch sehr beeinträchtigten Innungen der Dresdner Müller und Bäcker beim Churfürsten mit einer Beschwerde einkamen, so wurde am 15. October 1682 verordnet, dass Lockwitz und Nickern gemeinschaftlich dreissig Freizeichen, und zwar ersteres sechsundzwanzig, letzteres vier, haben sollten. Wird durch Todesfall ein solches Freizeichen vakant, oder auch nur verloren, so muss bei der Herrschaft ein neues gelöst werden. Es besteht in einem kleinen, mit dem Königlichen Wappen und dem Namen des Inhabers gestempelten Bleche. In der Regel überlässt die Herrschaft ein vakantes Zeichen dem Meistbietenden, und der Preis steigt oft bis zu achtzig Thalern, auch ist an die Herrschaft ein Speciesthaler Handelszins abzugeben.
Nickern und das bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts damit vereinigte Lockwitz hatten in dem dreissigjährigen Kriege ungemein zu leiden, und wurden bald von Sächsischen bald von Kaiserlichen Truppen heimgesucht und geängstigt. Der damalige Rittergutsbesitzer, Amtshauptmann von Osterhausen, traf alle nur möglichen Anstalten, die Dörfer vor Raub und Plünderung zu schützen. Er liess eine grosse Schanze aufwerfen, umgab dieselbe mit einem Graben, über welche Zugbrücken führten, verpallisadirte die Eingänge zum Dorfe, liess in die Mauern der Gärten und Häuser Schiessscharten einschneiden und selbige mit Musketen und Doppelhaken besetzen. Die Einwohnerschaft übte der Amtshauptmann selbst in den Waffen, wobei ihm der Rittmeister von Neitschütz auf Röhrsdorf behülflich war, und so gelang es auch wirklich einige Male, streifende Partheien, die einen Anfall wagten, abzutreiben. Endlich mussten jedoch die Bewohner der befestigten Dörfer wegen zu starken feindlichen Andrangs über die Elbe flüchten, so dass nur drei Personen in Lockwitz zurückblieben. Als Pirna von den Schweden eingenommen worden war, kamen die Kriegsvölker in dichten Massen angezogen, so dass der Amtshauptmann sich zu eiliger Flucht veranlasst sah, und nur mit einem Stiefel an den Füssen das Schloss verlassen musste. Während der Schlossherr das Weite suchte, fand ein Reitergefecht zwischen Schwedischen und Oesterreichischen Dragonern, nahe bei dem Lockwitzer Weinberge und der Krähenhütte,
Meissner Kreis, 4tes Heft, oder 18tes Heft der ganzen Folge.
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen II. Section. Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser, Leipzig 1856, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_II.djvu/038&oldid=- (Version vom 29.10.2017)