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Wittgensdorf,


eigentlich Wittchensdorf, ursprünglich Wittichos-Dorf, ist ein grosses und volkreiches Pfarrkirch- und Fabrikdorf und neuschriftsässiges Rittergut. Es bildet nebst dem dazu gehörigen Dörfchen Mössnitz eine Exclave des erzgebirgischen Amtes Zwickau zwischen den Aemtern Chemnitz und Penig und dem Rochlitzer Rittergute Auerswalde. Der Ort, der seiner ganzen Ausdehnung nach über eine Stunde lang ist, liegt bei der Kirche, das heisst ungefähr in der Mitte seiner Länge, 9 Stunden nördlich von Zwickau. 1⅝ Stunden nordwestlich von Chemnitz, 1½ Stunde südöstlich von Burgstädt, 3 Stunden von Penig und Frankenberg und 1¾ Stunden von Limbach. Er zieht sich meistens in westsüdwestlicher Richtung vom Thale der Chemnitz an einem kleinen Bache bis auf eine sehr hochliegende flache Niederung, und wird nur am niedern Ende von bedeutenden und steilen Höhen eingeschlossen. In neueren Zeiten sind mehrere Häuser auf den Feldern ausserhalb des eigentlichen Dorfes angebaut, das sich sehr stark vergrössert hat.

In den starken Fluren grenzt Wittchensdorf nordwestlich mit Hartmannsdorf, nördlich mit Mössnitz, südlich mit Heinersdorf und Röhrsdorf; östlich macht die Chemnitz die Grenze in dem sehr angenehmen Blankenauer Grunde. Diesen schliesst unter der hier befindlichen Mühle ein plötzlich hervorspringender Berg so, dass man sich versucht fühlt, an einem Ausgange des Thales zu zweifeln, für welches dieser Berg einen sehr reizenden Hintergrund bildet.

Jenseit des Berges befindet sich der sehenswürdige und sehr wichtige Draysdorfer Kalksteinbruch nebst dem Kalkofen und einer holländischen Windmühle, der einzigen weit und breit in der Umgegend. Sie wird zum Theil dazu verwendet, das Grubenwasser aus der majestätischen Säulenhalle des Bruches zu entfernen.

In Wittchensdorf selbst wird auf dem Grund und Boden eines Bauerngutes Glimmerschiefer mit eingesprengten Granaten gebrochen.

Durch die Waldung, welche westlich nahe bei dem Dorfe beginnt und zum Theil zu demselben gehört, geht die Chaussee von Chemnitz nach Leipzig. Vor derselben liegt eine moorige, mit mehreren Teichen besetzte Niederung, auf der man geringen Torf sticht, aber besseren zu finden hofft. Der Stich gehört einem Bauer des Oberdorfes, von dem aus man, 1300 Pariser Fuss über der Meeresfläche, einer herrlichen Aussicht in die Gegend von Augustusburg geniesst.

Wittchensdorf hat gegen 200 Häuser mit über 2000 Einwohnern. Die Bauergüter sind meistens schön gebaut und mitunter ziemlich bedeutend. Dies gilt namentlich von der Mühle, die ausser drei Mahlgängen noch eine Schneidemühle hat. Sie liegt an der Chemnitz, in welche sich bei ihr der Dorfbach ergiesst, der von seiner Quelle bis hier 280 Ellen Gefälle hat. Im Dorfe selbst liegen an dem Bache noch zwei kleinere Mühlen. Bei der grossen führt ein blosser Steg über den Fluss.

Unter den Gebäuden, welche Wittchensdorf zum Schmucke gereichen, erwähnen wir der grossen, schönen, neugebauten und mit Blitzableitern versehenen Bleiche im Oberdorfe. Unter den Häuslerwohnungen zeichnen sich mehrere neuerbaute aus, welche Kaufleuten oder Factors der Fabrikanlagen gehören. Auch das Geleitshaus und einige Schenken sind erwähnenswerth; namentlich aber gilt dies von der Kirche. Diese steht an der Südseite des Dorfes, ziemlich in dessen Mitte, auf einem steilen Hügel. Sie ist ursprünglich schon in sehr früher Zeit erbaut worden, steht aber nicht mehr in ihrer ersten Form da. Schon von 1657 bis 1660 wurde sie reparirt, 1728 bedeutend erweitert, und endlich in der gegenwärtigen Gestalt im Jahre 1754 vollendet. Sie bildet ein regelmässiges längliches Viereck und ist zwar geräumig, aber dennoch für die beträchtliche Gemeinde nicht völlig gross genug. Die Kanzel, die über dem Altare, dem Chore grade gegenüber, steht, ist mit viel Holzschnitzwerk, jedoch ohne künstlerischen Werth, verziert. Das Orgelwerk ist alt und mangelhaft und die Gemeinde sammelt daher an der nöthigen Summe zu einem neuen. Der geschmackvolle 66 Ellen hohe Thurm wurde erst 1729 neu gebaut. Der damalige Besitzer von Wittchensdorf, Kaspar Abraham von Schönberg, beschenkte dabei die Kirche mit einem neuen, schönen Thurmknopf. In dem alten, der bei dieser Gelegenheit abgenommen wurde,

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Schlösser und Rittergüter im Königreiche Sachsen IV. Section. Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins, Leipzig 1856, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_IV.djvu/110&oldid=- (Version vom 21.5.2017)