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Wiese.


Das am Fusse des Bielberges in einem Thale gelegene Dorf Wiese zählt in 150 Feuerstätten über 1400 Einwohner, hat eine Ausdehnung von einer halben Stunde in der Richtung nach Westen, Osten, und theilweise nach Norden und ist oberwärts ziemlich weitläufig, in der Nähe der Kirche aber enge zusammen gebaut. Verschiedene Häuser des Ortes sind von diesem gänzlich isolirt, wie die Ortsmühle, die beiden Gehöfte des Wiesenbades, die drei Güter am Wege vom Bade nach dem, drei Viertelstunden entfernten Annaberg, mehrere Bauergüter und die Riesenburg. Das höchste Haus in Wiese liegt 1800, das tiefste 1550 Fuss über dem Spiegel der Nordsee. Uebrigens ist Wiese in einem sehr anmuthigen Thale gelegen, das schon im fünfzehnten Jahrhundert wegen seiner Reize die Rosenaue hiess, von stark coupirten Bergen begränzt ist und mehrere Felsgruppen zeigt, von denen die stärkste am Zschopauufer nach Schönfeld hin sich erhebt, welches Dorf fast an Wiese stösst. Hier befinden sich zwei Mühlen, sechsunddreissig Begüterte und Gärtner, vierundneunzig Hausbesitzer und hundertdreizehn besitzlose Familienhäupter. Die vorzüglichsten Beschäftigungen sind Ackerbau und Viehzucht, doch giebt es hier auch viel Klöpplerinnen. Früher bestand in Wiese eine Handwerksinnung für die Maurer und Zimmerleute, die aber jetzt mit der in Grossolbersdorf vereinigt ist; indessen besteht noch eine Art Handwerksverband zwischen einigen Gewerken und Bergleuten, sowie auch eine Grabkasse. Seit einigen und zwanzig Jahren befindet sich in Wiese eine Spinnfabrik. – Unmittelbar über dem Dorfe vereinigt sich die Zschopau mit der Sehme, und so kommt es, dass Wiese durch die angeschwollenen Fluthen nicht selten in Gefahr gerathen ist und grossen Schaden erlitten hat. Die gefährlichste Ueberschwemmung betraf den Ort am 21. Juli 1565, wo das Wasser zwei Pochwerke und dreizehn Häuser gänzlich wegspülte, neun andere Häuser und sämmtliche Brücken bis Wolkenstein hinab ruinirte und das Thal in einer Breite von 262 Ellen erfüllte. Bei dieser Ueberschwemmung fanden dreizehn Menschen, hauptsächlich Kinder, ihren Tod. – Im vorigen Jahrhundert fing man hier in der Zschopau ausserordentlich viele Lachse, so dass im nahen Wiesenbade das Pfund dieses wohlschmeckenden Fisches mit achtzehn Pfennigen bezahlt wurde. Jetzt fängt man bei der Ortsmühle viele Aale.

Im Norden von Wiese steigt das Gebirge nicht steil, aber sehr hoch empor und erreicht seinen Gipfel nach einer halben Stunde bei Neundorf im Schattenberge, von wo sich eine köstliche Aussicht darbietet. Den reizendsten Blick auf das Dorf Wiese gewährt der schroffe Berg östlich von der Kirche, welcher auch den Galgenstein trägt. Die Zschopau strömt von hier aus in drei Bögen durch die Gebirgsausläufer und bildet so eines der anziehendsten Thäler des Erzgebirges, welches nahe unter dem Dorfe einen wildromantischen Charakter zeigt, beim Wiesenbade aber eine freundlichere Gestalt annimmt. In dieses Thal mündet auch der enge, mit dunklen Waldungen überdeckte Neundorfer Grund mit vielen überhängenden Felsklippen. In der Nähe des Bades bricht der bekannte Wurststein; auch fand man hier ehemals in einem über drei Ellen mächtigen Spathgange viel Amethyst, welcher indessen jetzt nicht mehr gesucht wird. Die Amethystgrube war Eigenthum der Gemahlin Churfürst Johann Georgs II., und im Jahre 1700 befand sich hier ein eigener Inspector über die Wiesaer und Drehbacher Amethystgruben. Am sogenannten Hauersteige findet man Smaragde.

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Schlösser und Rittergüter im Königreiche Sachsen IV. Section. Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins, Leipzig 1856, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_IV.djvu/149&oldid=- (Version vom 11.6.2017)