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Entwürfe geliefert, die Eingabepläne des dritten Projektes und eine Variante in Tekturen auf diese Pläne.

In der Variante zum Turm ist die konzentrische Anschweifung der Stirnwand im dritten Geschoß allseitig angeordnet. Den unteren Säulenpaaren entsprechen radial zurückgesetzte Lisenen. Die beiden äußeren der Schmalseiten sind als Anläufe mit durchbrochener Brüstung und Vasenaufsatz ausgebildet. Zwischen ihnen bleibt das untere Geschoß mit treppenartiger, der Dachlinie folgender Überdeckung liegen. Da die Tiefe nur etwa ein Fünftel geringer ist als die Breite, ist das Glockengeschoß fast quadratisch und sehr massig. Überdies verjüngen sich die Öffnungen nach innen, so daß die Eckschäfte stärker erscheinen als sie sind. Den Übergang zum regelmäßigen Achteck der oberen Turmspitze bildet ein reichgegliederter Halbstock für die Uhr, der nur in der Diagonale merkbar ein­gezogen wird. Das nächste volle Geschoß, das vierte, zur Aufnahme eines Glockenspieles bestimmt, sitzt hinter der vasengeschmückten Balustrade eines Umgangs zurück. Es ist überaus luftig in sieben innere Säulen und acht äußere mit Engelshermen geschmückte Pfeiler aufgelöst. In einer Grundrißvariante sind die Säulen außen gedacht. Der folgende Halbstock für den Türmer mit dem Wächter­gang ist durch torartige Steingebilde mit der umlaufenden Balustrade in Verbindung. Darüber sitzt auf profilierter Sockeleinschnürung eine hohe Laterne für die beiden Uhrschellen. Die als Voluten ausgebildeten zierlichen Eckstützen setzten sich über dem mit Vasen verzierten Gebälk in maßwerkartig verbundenen dünnen Steinstreifen fort, die in einem Blattknauf zusammenlaufen. Eine reich profilierte kupferne Vase mit hohem Kreuz schließt den Turm ab.

Im ersten Plan zum neuen Turm ist das dritte Geschoß rechteckig im Grundriß. Nur die Stirnseite ist geschweift und durch gekuppelte Säulen gegliedert, die übrigen Seiten dagegen durch Pilaster mit konsolartiger Fortsetzung im Fries. Auf den volutenartigen unteren Endstücken der seitlichen Anläufe sitzen malerische Frauengestalten (Glaube, Liebe, Hoffnung, Geduld). Der folgende Halbstock ist allseitig stark verjüngt und leitet zu einem abgestumpften Quadrat als Grundform der oberen Spitze über. Die Ecken des vierten Geschosses sind als Säulen gedacht. Eine achtteilige Haube mit vier kleinen zierlichen Gaupen und großen Vasen darüber bildet den Abschluß. Innen ist der Turmkern mit zwei Reihen Schallfenstern weitergeführt. Über der Haube sitzt auf geschweiftem Sockel eine schlanke Laterne mit Lisenenpaaren übereck und bogenförmiger Gesimsaufbiegung über den vier Öffnungen. Eine starke Einschnürung führt zu einem bauchigen, für eine Uhrschelle bestimmten Obelisken über, der eine Vase mit dem Kreuz trägt. Haube, Laterne und Obelisk sind aus Holz mit Kupferverkleidung gedacht.

Die Einfügung des neuen Turmes in das Aufbausystem der Kirche ist vollkommen gelungen. Er ist durchaus organisch aus ihm heraus entwickelt. Die angeschweifte Vorlage an der Stirnseite ist künstlerisch fein empfunden. Sie gibt ihm mehr „Stand“. Turm und Kirche wachsen in monumentaler Geschlossenheit zu einem wuchtigen, geschlossenen und gedrungenen Ganzen von einheitlicher Gesamtwirkung zusammen. Im Innern wird durch die nachträgliche Änderung die hallenartige Raum­wirkung an der Orgelseite verkümmert. An die Pfeiler der Orgelarkade, die vorher frei im Raume standen, legt sich jetzt die innere Turmmauer. Die geräumige Sängerempore schrumpft zu einem schmalen Balkon zusammen.

Schmidts neuer Turm ist reich an Phantasie, eigenartig und selbständig, das Werk eines echten Künstlers. Vor allem in der Variante, dem zweiten Entwurf, ist die künstlerische Zusammenarbeitung und harmonische Abstimmung der an sich sehr verschiedenartigen Teile vollendet gelungen. „Schmidts Turm, ein Produkt barocker Phantasie und doch voll kecker Grazie und Anmut, kühn durchbrochen, mit schwebender Leichtigkeit sich emporschwingend“,[1] ist ein architektonisches Meisterstück. Anklingend an die wirkungsvollen durchbrochenen Turmhelme der Gotik ist er in überaus reichgegliederten Umriß­linien rein plastisch empfunden, dabei von unten bis oben in Stein gedacht. Die Turmvariante ist zugleich die letzte Entwurfszeichnung Schmidts zur Kreuzkirche. Der Widerspruch der staatlichen Bau­beamten

gegen seine Pläne läßt ihn seine ganze Künstlerkraft zusammenraffen, um sein Bestes zu geben.


  1. Schumann, Dresdner Anzeiger 1882.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.5.2024)