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Bekennen des Glaubens, die gemeinsame Erbauung an der Predigt, nicht das bloße Anhören derselben. Den Gottesdienst übt die ganze Gemeinde aus, der Geistliche ist nach der Lehre vom allgemeinen Priestertum nur als Glied der Gemeinde wirksam, er steht nicht über, sondern in ihr. Einen pro­testantischen Gottesdienst ohne Anwesenheit der Gemeinde gibt es nicht. Nur in der katholischen Kirche kann der einzelne zu jeder Zeit für sich allein beten und Andacht ausüben, kann der Priester jederzeit auch ohne Gemeinde Gottesdienst abhalten. Es kann nicht unprotestantisch sein, wenn die Gemeinde dem einzelnen sichtbar ist. Man kann das eher als charakteristisch für die protestantische Kirche be­zeichnen, und die Baumeister des 18. Jahrhunderts schufen in diesem Sinne. Die Preise, die bei Verlösung der Sitze in der Frauenkirche zu zahlen waren, betrugen für die vorderste Reihe der drei Emporen 25, 20 und 16 Taler; die hintersten Reihen kosteten 12 Taler, genau so viel wie jeder Sitz im Schiff.

Bähr stellte selbst bei kleinen Dorfkirchen konzentrisches Gestühl im Schiff auf. Die Dresdner zentralen Saalanlagen sind ohne konzentrische Emporen nicht denkbar. Schmidt spricht es auch einmal direkt als Forderung aus, „daß die meisten Zuhörer Kanzel, Altar und Parterre übersehen können“. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer durch das gleiche Bekenntnis geeinten Gemeinde kann nicht besser erweckt und gestärkt werden, als wenn der einzelne bei jedem Blick die gleichgestimmte Gemeinde um sich sieht, sich als ihr Mitglied fühlt. Und dies Gefühl wurde zu einem Bedürfnis in Dresden. Der schmerzliche Übertritt des Fürsten zum Katholizismus mahnte die Bürgerschaft immer wieder zum Festhalten am Glauben der Väter und zum Zusammenstehen gegen die ihm drohende Gefahr. Mehrere Ereignisse hielten die Sorge um ungeschmälerten Bestand des protestantischen Bekenntnisses wach.[1] In einem Briefe an den Papst hatte August der Starke geschrieben, daß er den katholischen Kultus mit Aufopferung seines Lebens verbreiten wolle. „Hierauf allein, heiligster Vater, sind alle meine Ge­danken und Unternehmungen gerichtet.“ Der Landesherr hielt treu seine den Landständen gegebenen Religionsversicherungen. Er konfiszierte zwar später (1732) die für die Salzburger gesammelten Gelder (jedenfalls aus volkswirtschaftlichen und politischen Gründen, da die Emigranten bereits in Preußen aufgenommen waren), überwies sie aber dann zum Frauenkirchenbau. Schmerzlicher für die sächsischen Protestanten war der Übertritt des Kurprinzen 1717, gerade als man sich zur Refor­mationsfestfeier rüstete. Die ständige Angst und Sorge vor katholischen Übergriffen führte 1726, als ein Kreuzkirchendiakon von einem Katholiken ermordet wurde, beinahe zu offener Revolution. 1737 wurde die evangelische Schloßkapelle in Privatgemächer umgewandelt und gleichzeitig eine mächtige und prächtige katholische Hofkirche[2] erbaut.

An der geeinten evangelischen Bürgerschaft prallten alle Katholisierungsbestrebungen ab. Kein Zufall, daß die Vertiefung des religiös protestantischen Lebens, wie es der Pietismus erstrebte, gerade in Dresden fruchtbaren Boden fand. Kein Zufall aber auch, daß gerade hier die Ausbildung der protestantischen Gemeindekirchen ihre besondere Eigenart aufweist. Pfarrer Sulze, der in seinen Schriften für den innigsten Zusammenschluß der Gemeindemitglieder unter sich und mit ihren Geistlichen eintritt, ist der erste Theologe gewesen, der den Dresdner Kirchen des 18. Jahrhunderts wieder Liebe und Verständnis entgegenbrachte.[3] Daß er selbst über ein Menschenalter in der Bährschen Drei­königskirche gewirkt, mag anderseits auf ihn nicht ohne Einfluß gewesen sein.


  1. Vergl. Dibelius, Die Kreuzkirche 1900.
  2. Daß der konfessionelle Gegensatz in den Gemütern der Dresdner auch weiterhin lebendig blieb, wird uns noch 1786 von einem hochgebildeten und unbefangenen Beobachter bezeugt (Kleine Wanderungen durch Deutschland, Berlin 1786): „Ich habe von sehr angesehenen Leuten ernsthaft behaupten hören, Sachsen könne nimmer zu seinem vorigen Flor gelangen, solange der Landesherr katholisch bleibe. Der Eifer der Sachsen für das Luthertum bürgt vor allen gefährlichen Folgen von dieser Seite. Die hiesige katholische Gemeinde ist den rechtgläubigen Sachsen in Dresden ein Dorn im Auge. Denn ihre Kirche ist die prächtigste. Solange die Landstände ihr jetziges Gewicht behalten, dem Landesherrn geradezu verbieten können, auf den Turm seiner Kirche eine Glocke zu bringen, ob sie gleich schon seit Jahren gegossen ist (vergl. unter I a), hat Sachsen den propagierenden Geist des Katholizismus nicht zu fürchten.“ Weiter schreibt er: „Die Proselyten waren bis jetzt immer zweideutige, Baugefangene, Reitknechte u. dergl. Kein ehrlicher Sachse ist noch katholisch geworden, solange er sein Durchkommen als Protestant finden konnte.“
  3. Sulze, Die Dreikönigskirche, Dresden 1889: Bähr hat hier dem protestantischen Bewußtsein vollendeten
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Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/67&oldid=- (Version vom 5.4.2024)