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bezwingen, sondern auch künstlerisch verwerten, um das Äußere zum lebendigen organischen Ausdruck des Innern werden zu lassen.

Wohl haben wir Georg Bähr, den Schöpfer der Frauenkirche, den Finder eines neuen Kirchenbautypus, schon um dieser Tat willen als Künstlerpersönlichkeit höher einzuschätzen als den Architekten der Kreuzkirche, die ohne jenes Werk nicht denkbar ist. Aber was bei Schmidt fehlte an der seltenen Ursprünglichkeit des Genies und an reicher Gestaltungskraft, das ersetzte ihm die Schulung unter Bähr, die anerzogene Fähigkeit zu künstlerischer selbständiger Verwertung bereits ge­fundener architektonischer Werte. Das Lernen und Arbeiten unter seinem Vetter und Pflegevater hatte ihn mit Bährs Denken und Streben aufs innigste vertraut gemacht, dessen schrittweise erworbenen Erfahrungen und Kenntnisse ihm als Früchte zu­gebracht. Aber er blieb hierbei nicht stehen. Seine Schule hatte ihn nicht bloß zum Kopieren erzogen, sondern erst recht zu eigenem Denken und selb­ständigem Schaffen befähigt. Das zeigt vor allem sein Hauptwerk.

Der Kreuzkirchenplan gibt an künstlerischer Bedeutung dem Kuppel­bau Bährs kaum viel nach. Beide stellen die Höhepunkte in der pro­testantischen Kirchenbauentwicklung des 18. Jahrhunderts dar, die einzigen. Das eine Werk der vollendete Aus­druck des gemütstiefen kunstinnigen Pietismus, jenes andere, in den Plänen stecken gebliebene, die Ver­körperung des verstandesklaren Ra­tionalismus.

Frauenkirche. Maßaufnahme mit der Schmidtschen Laterne.
Maßstab 1 : 600.

Der Einfluß der Dresdner Schule in Sachsen.

Eine intensive Verwertung der von Bähr und Schmidt gefundenen Gedanken zeigt der Neubauplan der Zittauer Johanniskirche. Der alte gotische Bau war 1757 bei der Belagerung durch die Verbündeten in Brand geschossen worden. Obwohl auch hier keine Mittel vorhanden waren, beschloß man, die Ringmauern wegen ihrer Un­regelmäßigkeit

nicht mit zu verwenden, sondern die Kirche „im neuen Geschmack“ zu bauen.[1]


  1. Vergl. Kirchengalerie der Oberlausitz, Zittau; Schumann, B. u. R., S. 124. Archivstudien stellte mir Herr Dr. Ing. Rahtgens gütigst zur Verfügung.
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Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/69&oldid=- (Version vom 1.5.2024)