Seite:Anzeiger fuer die Kunde deutscher Vorzeit 1881 3 002.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

oben rechts ein Stück des Randes. Ein Text scheint nicht weggeschnitten zu sein. Das Wasserzeichen des Kupferstiches ist ein Ochsenkopf mit darüber befindlicher dreizackiger Krone, auf deren mittlerer Spitze an einem Stiele eine Rosette aufgesetzt ist. Das Wasserzeichen des Textes besteht aus einer dreibergartigen Figur, auf deren Mitte ein hochragendes Kreuz steht.

Ein Titelblatt hat das Büchlein nach der Sitte der Zeit so wenig als das Roritzer’sche; aber während letzteres im Schlußworte seinen Inhalt und die Entstehungszeit angibt, fehlt dem unsrigen eine ähnliche Bezeichnung. Wir geben hier ein Facsimile des Textes der ersten Seite, so treu sich ein solches eben herstellen läßt, auf photochemischem Wege erzeugt; doch sieht dasselbe immerhin etwas stumpfer aus, und die Charaktere scheinen etwas stärker als im Original.

Ein Blick auf die Typen zeigt, daß es jedenfalls ungefähr derselben Zeit, wie das Roritzer’sche, angehören muß. Eine Vergleichung mit einer Anzahl Druckwerke jener Zeit hat ergeben, daß die Typen dieselben sind, mit welchen Georg Stuchs von Sulzbach, der seit 1484 in Nürnberg thätig war, gearbeitet und womit er noch 1489 ein nicht gerade seltenes Buch, den Mamotrectus[1] gedruckt hat. Mehrere verglichene Exemplare dieses Buches zeigen jedoch, daß 1489 die Typen schon mehr abgenützt und weniger scharf waren, als in unserem Werkchen, so daß zu schließen ist, daß es schon einige Jahre früher durch Stuchs gedruckt ist, und also vielleicht schon älter, kaum aber wesentlich jünger sein kann, als Roritzer’s Schrift. Da nun auch 1486 zu Rom eine Ausgabe des Vitruv[2] erschienen ist, so bildet unser Schriftchen mit jenen beiden jedenfalls eines der drei ersten Werke über Architektur, welche die Druckerpresse verlassen haben; es ist eine der ehrwürdigsten Incunabeln eines heute so umfangreich gewordenen Literaturzweiges und jedem Baumeister deshalb eine werthvolle Reliquie. In einer Beziehung kann es aber als älteste Incunabel betrachtet werden: es hat ein in Kupferstich ausgeführtes Doppelblatt und zeigt so das älteste Beispiel der Verwendung des Kupferstiches für architektonische Zwecke, die sich später so trefflich bewährt und solch umfassende Anwendung gefunden hat.

Die erste Seite des Büchleins nennt als Verfasser einen Hanns Schmuttermayer aus Nürnberg, der „nicht um eigener Ehre willen, sondern zum Preise, Ruhm und Lob der alten Vorgeher, Setzer und Finder dieser hohen Kunst des Bauwerkes, die aus der Wage, Winkelmaß, Triangel, Zirkel und Lineal ursprünglich ihren wahren Grund hat, und nun mit der Schärfe und Subtilität hoher Sinne und tiefer Rechnung erforscht ist, auf Bitten vieler ehrbaren Personen zu Besserung und Zierde der Gebäude der heiligen christlichen Kirche gearbeitet hat, zu Trost und Unterweisung des Nächsten und aller Meister und Gesellen, die sich dieser hohen und freien Kunst der Geometrie gebrauchen, um deren Gemüthe, Speculierung und Imagination dem wahren Grund des Maßwerkes besser zu unterwerfen.“ Der Verfasser war bisher ebenso unbekannt als sein Schriftchen, und auch jetzt hat sich über sein Leben nichts ermitteln lassen. Herr Archivsekretär Mummenhoff hatte die Güte, im hiesigen kgl. Archive Nachforschungen anzustellen, ohne auch nur über seine Existenz etwas zu finden, so daß er auf keinen Fall angesessener Bürger der Stadt Nürnberg, noch Mitglied einer Innung war, noch in irgend einer angesehenen Stellung hier gelebt haben kann; und wenn nicht sein Büchlein die Typen einer hiesigen Druckerei zeigte, so müßte man annehmen, daß er nur von hier stamme, aber keineswegs hier gelebt und gearbeitet habe.

Das Büchlein ist mit dem Roritzer’schen verwandt; aber beide sind ganz selbständige Arbeiten, und Schmuttermayer behandelt namentlich einige Theile, so die Wimberge, viel eingehender, als Roritzer. In der Einleitung sagt er auch, daß er die Art solches Maßwerkes, Vierung, Rotunde der Fialen Wimperge und der Pfeiler mit allem, was dazu gehört, auf die neue und die alte Art gerecht gemacht und (in sein Büchlein) hinein gebracht habe, was allerdings in unserem Büchlein nicht vollständig geschehen. Sollte dasselbe nur ein Bruchstück sein, das vielleicht gar nicht zum Schlusse gediehen, oder


  1. Mammotrectus super bibliam (auct. Joh. Marchesino, Ordin. Minor.) Hain, Nr. 10,567.
  2. Victruvii Pollionis ad Cesarem Augustum de architectura liber primus (et sequentes IX, ex recens. Joan. Sulpitii Verulani). (Rom, Georg Herolt, c. 1486). Brunet, t. IV, p. 670.