Seite:Arnold Böcklin.pdf/20

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

schönen Menschen nicht in Vereinzelung, wie der Bildner der Statue, sondern im Zusammenhange mit der schönen Natur: «im Frühlingsgefolge» sah er die Schönheit herrlich antreten:

Sie steiget hernieder in tausend Gebilden,
Sie schwebet auf Wassern, sie schreitet auf Gefilden.

Nur eine ihrer Erscheinungen unter vielen war für ihn der Mensch; mit Vielem mußte dieser sich zu einem Ganzen verbinden. Wie hätte er sich da in seiner scharf abgegrenzten Abgesondertheit, in seiner plastischen Bestimmtheit, in dem ganzen Reichtum seines Lebensorganismus erhalten können? Die äußerste Geschlossenheit und Festigkeit der antiken plastischen Form mußte einer Betonung der malerischen Werte weichen; es vollzieht sich eine Abschwächung im Knochengefüge, eine Verflüchtigung der starken Linienbegrenzung, eine Erweichung der Formen, eine Verallgemeinerung des organischen Zusammenhanges der Teile. Die Gewandung der Frauen verfeinert und entstofflicht sich bis zu durchsichtigen, wie sanftes Wellenspiel sich faltenden zartesten Geweben, sinnlicher Reiz umschimmert ihre Gestalt, strömt aus dem schmelzenden Blicke großer Augen, atmet aus träumerischen Gebärden und Mienen; wie andererseits Sinnengewalt, zu animalischer Willkür entfesselt, in Verlangen, Genießen und Kämpfen das Leben der zottigen, ungeschlachten, begehrlichen Mischwesen beherrscht.

Und was bedeutet denn diese Umwandlung des antiken Menschen und Tiermenschen, dessen große Erscheinung in den Böcklin’schen Figuren noch wie durch eine Verkleidung hindurch sich geltend macht, was bedeutet sie Anderes, als eine

Empfohlene Zitierweise:
Henry Thode: Arnold Böcklin (Gedenkworte). Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1905, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arnold_B%C3%B6cklin.pdf/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)