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Hier liegt ein Geheimnis verborgen. Der geniale Bildner offenbart uns in der Natur ein allgemeinsam Verständliches, denn sonst würden seine Hervorbringungen uns Anderen ewig fremd und unfaßlich bleiben, und doch ist seine Vorstellung eine höchst persönliche, sondergeartete, denn sie unterscheidet sich von jeder anderen. Nur indem er, ganz der Anschauung hingegeben, sich seiner selbst entäußert, wird er zum Schöpfer, und doch wird sein Werk zum stärksten Ausdruck seiner Persönlichkeit. Die Ahnung, wie dieser Widerspruch sich aufheben lasse, dürfte einzig Dem zuteil werden, welcher die Erkenntnis sein eigen nennt, daß die Welt unsere Vorstellung ist; aber freilich indem er nicht streng an der ästhetischen Ideenlehre Schopenhauers festhält, so unumstößlich ihm auch ihre metaphysischen Grundtatsachen dünken müssen. Wäre das künstlerische Schauen ein Schauen der Ideen selbst, so bliebe es unerklärlich, wie jeder große Künstler eine nur ihm eigene Anschauung hat und ihr eine nur ihm eigene Gestaltung verleiht; dann in der Tat müßte das Persönliche ganz aufgehoben erscheinen, denn die Ideen sind unveränderlich und unwandelbar sich gleichbleibende, und die Schöpfungen aller Genies müßten ununterscheidbar sein. Beschränken wir uns aber darauf zu meinen, daß der künstlerischen Auffassung das Vermögen wesentlich ist, in der unendlich zersplitterten Vielheit der Einzeldinge die Einheit und damit in dem scheinbar Willkürlichen das Notwendige, in dem Ungebundenen das Gesetzmäßige zu gewahren, so erscheint auch die Möglichkeit einer immer neuen individuell verschiedenen Gestaltung dieser Einheit gegeben, denn unendlich reich ja sind deren Erscheinungsformen. Welche unter

Empfohlene Zitierweise:
Henry Thode: Arnold Böcklin (Gedenkworte). Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1905, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arnold_B%C3%B6cklin.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)