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 An die Entfernte.

Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten,
An jenes letzten Abends rothe Kühle,
Wo ich die theu’re Hand noch durfte halten:
Steh’ ich oft sinnend stille im Gewühle,

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Und, wie den Schweitzer heim’sche Alphornslieder

Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,
Oft unverhofft befallen,
Kommt tiefe Sehnsucht plötzlich auf mich nieder.

Ich hab’ es oft in Deiner Brust gelesen:

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Nie hast Du recht mich in mir selbst gefunden,

Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Wesen,
Und so bin ich im Strome Dir verschwunden.
O nenn’ drum nicht die schöne Jugendwilde,
Die mit dem Leben und mit seinen Schmerzen

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Mag unbekümmert scherzen,

Weil sie die Brust reich fühlt und ernst und milde!

Getrennt ist längst schon uns’res Lebens Reise,
Es trieb mein Herz durch licht’ und dunkle Stunden.
Dem festern Blick erweitern sich die Kreise,

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In Duft ist jenes erste Reich verschwunden –

Doch, wie die Pfade einsam sich verwildern,
Was ich seitdem, von Lust und Leid bezwungen,
Geliebt, geirrt, gesungen:
Ich knie’ vor Dir in all’ den tausend Bildern.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Vereinsbuchhandlung, Berlin 1826, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_dem_Leben_eines_Taugenichts_und_das_Marmorbild.djvu/238&oldid=- (Version vom 31.7.2018)