Kurt Pfister: Unbekannte Bilder des Hieronymus Bosch | |
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Seit der Drucklegung meiner Monographie des Hieronymus Bosch (Berlin 1922) sind einige Tafeln aufgetaucht, die im engsten Zusammenhang mit seinem Werk stehen und deren erste ich als mutmaßlich eigenhändig bezeichnen möchte. (Über die beiden anderen vermag ich im Augenblick, da mir nur die Photographien zugänglich sind — die Bilder befinden sich im Ausland —, kein bestimmtes Urteil abzugeben.) Die drei Stücke sind, soviel ich sehe, weder publiziert noch in der Literatur erwähnt. (Ein viertes inzwischen bekannt gewordenes Bild, eine frühe Kreuztragung, die zurzeit als Leihgabe im Wiener Kunsthistorischen Museum hängt, wird demnächst von anderer Seite publiziert werden.) Die geringe Zahl der erhaltenen Werke des Bosch läßt jedes neu auftauchende Werk als wertvollste Bereicherung erscheinen und möchte diese Veröffentlichung, die zur Grundlage einer Diskussion dienen soll, rechtfertigen.
Christus vor dem Hohenpriester. (München, Sammlung Nemes. Um 1910 aus dem Pariser Kunsthandel erworben. Format 0⸱49:0⸱37.) Offenbar gibt die Darstellung den Vorgang der Vernehmung durch Kaiphas (Math. 26, 59ff.) wieder. Christus hat sein Bekenntnis der Gottessohnschaft abgelegt. Kaiphas erhebt beschwörend und abwehrend die Rechte: „Er hat Gott gelästert.“ Im Kreis die spottenden und höhnenden Grimassen des Volkes und der Kriegsknechte. Außerordentlich die infernalische Physiognomik der Henker und (im Kontrast dazu) die stillen, duldenden Gesichtszüge Christi. Das Bild ist ausgezeichnet erhalten und zeigt eine dunkle, schwere Farbigkeit — ein tiefes Rot und Blau dominiert. Es steht der Verspottung im Escortal (Tafel 30 meines Buches) nahe, nur ist die farbige Struktur noch schwerer und gesättigter und bringt eine in Bosch’ Werk bisher unbekannte Dichtigkeit und schwere Tonigkeit, die einige Bedenken an der vollkommen eigenhändigen Durchführung erwecken könnte.
Die Hochzeit zu Kana. (Amsterdamer Privatbesitz.) Dies, und nicht ein beliebiges Hochzeitsbild scheint das Thema zu sein. Die sechs Krüge im Vordergrund — „es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge zu den bei den Juden üblichen Reinigungen“, Johannes 2, 6 —, in die der Diener das Wasser, das in Wein verwandelt wird, einfüllt, das Gespräch des „Speisemeisters“ mit dem rechts von der Braut sitzenden Bräutigam weisen nachdrücklich auf diese Szene. Das räumliche Gefüge des Bildes erinnert an Bouts, die Physiognomik aber, besonders der kleine Dudelsackbläser oben links, ist Bosch’ Handschrift. Verbindungslinien gehen von hier zu Breugels
Kurt Pfister: Unbekannte Bilder des Hieronymus Bosch. , 1923, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Belvedere_vol_004_Unbekannte_Bilder_des_Hieronymus_Bosch.djvu/1&oldid=- (Version vom 17.3.2023)