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allerdings ganz geschwunden. Aber auch in unserer Apk wird man sich das mit den Zeugen kämpfende Tier menschlich persönlich vorzustellen haben. In der „Himmelfahrt“ liegt übrigens noch ein zweiter Zug vor, den man mit der Weissagung der beiden Zeugen in unserer Apk parallelisieren könnte. Es wird dort erzählt, daß ein Mann mit dem rätselhaften Namen Taxo(n) mit seinen sieben Söhnen sich vor dem Tyrannen flüchtet und zu sterben beschließt und dann das Ende eintreten werde. Auch hier also Gestalten, die etwa den Zeugen in Kap. 11 entsprechen. Wahrscheinlich ist es auch, daß mit dem βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως, das an heiliger Stätte stehen wird, Mt 24,15 (= Mk 13,14), nichts anders gemeint ist, als diese in Jerusalem in den Zeiten der letzten Not auftretende widergöttliche Gestalt. So hat jedenfalls der sich in der Schilderung der Endzeit eng an Matthäus anschließende Verfasser der Zwölfapostellehre, dem übrigens neben Matthäus wohl noch eine ausführlichere und klarere Überlieferung zur Verfügung gestanden haben muß, die Sache angesehen. Denn nach deutlicher Anspielung auf Mt 24,11-13 (vgl. Did. 16,4 „αὐξανούσης γὰρ τῆς ἀνομίας μισήσουσιν ἀλλήλους“, vorher 16,3 die Erwähnung der falschen Propheten und Irrlehrer und „ἡ ἀγάπη στραφήσεται εἰς μῖσος“) fährt er doch offenbar in Anlehnung an Mt 24,15 fort: καὶ τότε φανήσεται ὁ κοσμοπλάνος ὡς υἱὸς θεοῦ καὶ ποιήσει σημεῖα καὶ τέρατα, καὶ ἡ γῆ παραδοθήσεται εἰς χεῖρας αὐτοῦ, καὶ ποιήσει ἀθέμιτα, ἃ οὐδέποτε γέγονεν ἐξ αἰῶνος. Erscheint hier die widergöttliche Gestalt halbwegs noch als König und Tyrann, halbwegs als falscher Lehrer und Weltverführer, so ist endlich in der merkwürdigen Weissagung II Th 2, an dessen paulinischer Herkunft ich doch vorläufig festhalte, der ἄνθρωπος τῆς ἀνομίας und υἱὸς τῆς ἀπωλείας ganz als falscher Prophet aufgefaßt. Bemerkenswert ist es übrigens, daß auch hier der Sitz des ἄνθρωπος τῆς ἀνομίας Jerusalem und gar der Tempel — dies letztere vielleicht bereits ein Zug christlicher Überarbeitung — ist. Ganz unvermittelt taucht endlich in IV6nbsp;Esr 5,6 die Gestalt des großen Widersachers wieder auf, und diesmal ist wieder das Bild des feindlichen Herrschers festgehalten: et regnabit quem non sperant, qui inhabitant super terram[1]. Jedenfalls, ob nun mehr die Vorstellung eines die Welt beherrschenden Königs oder eines die Welt verführenden Propheten vorliegt, so entstammen alle diese Traditionen derselben Wurzel der Erwartung einer unheimlichen Persönlichkeit, in der sich aller Widerstand gegen Gott und dessen Weltleitung inkorporiert. Und zwar gilt im allgemeinen der Feind der Endzeit direkt als Widersacher Gottes, noch nicht als der spezielle Widersacher des Messias, weshalb man in dieser Zeit noch nicht im eigentlichen Sinn von der Idee des Antichrist sprechen kann. Allen besprochenen Quellen ist ferner dies gemeinsam, daß der Widersacher


  1. Ich verzichte hier auf alle eine spätere Schicht der Überlieferung repräsentierenden Stücke, in denen die Gestalt des Antichrist mit dem wiederkehrenden Nero verschmolzen ist. Nur auf das eine vielleicht bereits christliche Stück Sibyll. III 63ff., in welchem der Widersacher Beliar wieder mehr als Prophet und Wundertäter aufgefaßt wird und vielleicht mit der Person des Simon Magus verschmolzen ist, sei noch hingewiesen.
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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. , Göttingen 1906, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S328.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)