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In weiter Kammer schlief ich und die Brüder

     Auf stillen Betten, die der Traum umspielet;
     Der Amme Lied ertönte still, und nieder
Die Winternacht mit kalten Sternen zielet.

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     Gesegnet seid, ihr ernsten nächt’gen Scheine,

     Die ihr mir in die junge Seele fielet!
Ich fühlte ruhig mich, in Frieden klar und reine;
     Der Brüder Herzen hört ich um mich schlagen,
     Ergötzt war meine Brust, ich wacht alleine,

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Hört sie im Traum die kindschen Wünsche klagen.

     Der eine sprach von Wagen und von Rossen.[1]
     „Hinan, hinan!“ hört ich die Schwester sagen,
„Ein Auge schließ ich auf der Leiter Sprossen,
     Daß mich der tiefe Abgrund nicht ergrause.“

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     Sie wußte nicht, daß beide sie geschlossen.[2]

Die andre sprach von ihrem Blumenstrauße,[3]
     Wie er schon wieder frisch erblühen werde;
     Und die ihr nah: „O tritt die Spitzenkrause[4]
Mir nicht so liederlich hin an die Erde!“

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     Doch ferner schlummert einer; heftig bebet[5]

     Sein Busen, und mit trotziger Gebärde
Spricht er: „Seht hin, Geliebte, seht, es schwebet
     Der Luftball hoch, ich habe ihn erfunden!“
     Dann wirft er sich im Bette, hoch erhebet

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Die Füße er, das Haupt hängt er nach unten.

     Des Fensters Schatten lag gleich einer Leiter

     Auf seiner Decke; künstlich eingewunden
  1. [399] Der Bruder Georg
  2. [399] Die Schwester Sophie, die auf einem Auge blind war
  3. [399] Die Schwester Kunigunde
  4. [399] Die Schwester Ludovica
  5. [399] Der Bruder Christian
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)