Und da dem Alten ich die Angst so klage,
Sprach er: „Wenn du drei Tage ohne Weinen
Geduldig bleibst, ich dich zur Kirche trage,
Man wird dich singend bei dem Eintritt grüßen.“
Ich glaubte ihm. Bei aller Krankheit Peinen
Ließ keine Trän ich von den Augen fließen.
Und als die Stunde endlich war erschienen,
Ich ließ mich stolz, gleich einem Herrn, bedienen;
Der Alte selbst trug mich auf seinen Armen
Und machte übertrieben ernste Mienen.
Ich fühlte mich von Sonnenschein erwarmen,
Gab an der Pforte ich den frommen Armen,
Die barhaupt bittend uns entgegentraten,
Was ich besaß: sechs neue blanke Heller.
Mein Träger ging auf wohlbekannten Pfaden;
Sprach er, „da hast du deine vollen Fässer
Mit allen Sorten bestem Muskateller!“
Ich glaubte ihm, und mit dem blanken Messer
Uns da ein schwarz und weißer Mönch begegnet.
Und als: „Wer war es?“ ich ihm scheu entgegnet –
„Dies war dein heilger Pater Küchenmeister,
Was er am Spieße brät, das ist gesegnet.
Er ist aus Schwaben und Marcellus heißt er;
Er ist ein Zauberer, beschwöret Geister.“
Nun hörte ich durch blühnde Gartenhecken
Die Orgel aus der Kirche rührend klingen;
Mich faßte da ein nie gefühlt Erschrecken.
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)