Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 023.jpg

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Mahnt am Fenster, und die Schwalbe,

Seiner Armut Gast, mahnt Kosme.

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Und die fromme Rosablanke,

Die mit goldner Flut der Locken
Möchte alle Schuld bezahlen,
Ist der strengste Gläubger Kosmes.

Zu der Hütte letzter Kammer

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Schleichet bang der alte Kosme,

Dort hält er den Schatz des Jammers
Sich im festen Schrank verschlossen.

Eine Locke blonder Haare,
Die Gewande einer Nonne

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Nimmt er weinend aus dem Kasten,

Und dann eine schwere Rolle.

Er befestigt sie am Rande,
Und es rollet zu dem Boden
Ein Gemälde, das der Maler

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Unvollendet, halb entworfen.


Unten auf dem Meer der Schatten[1]
Schwankt, umwogt von dunklen Wolken,
Ohne Steuer, ohne Flagge,
Bleich der Kahn des halben Mondes.

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An den Seiten aufwärts wallen

Opfersäulen grauer Wolken,
Die den Regenbogen tragen,
Des Triumphes Friedenspforte.

Um des Tores Bogen ranken

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Engel sich, aus rotem Golde,

Und von ihren Händen fallen
Purpurrote Morgenrosen.


Anmerkungen des Herausgebers

  1. [399] Das Gemälde, zu dem ihm die von ihm verführte Nonne Rosatristis Modell gestanden.
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_023.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)