Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 172.jpg

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Lange hat er nicht gesehen
In das offne Herz der Rosen,

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Und so frommer Töne Wehen

War entfremdet seinen Ohren.

Er war in der Bücher Menge
Ganz verriegelt und verschlossen,[1]
Und hier, wo die Blumen scherzten,

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Ist ihm auf das Herz gebrochen.


Brach ihm auf in Liebesschmerzen,
Recht wie eine Blumenknospe
Ihr Geschmeide keusch ausleget
In dem Kuß der jungen Sonne.

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Wie verschloßne Felsenquellen

Traurig in dem Dunkel wohnen,
Jauchzend dann zutage brechen
Zu den Sternen, zu der Sonne,

Und mit bunten Steinen scherzend

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Und mit Fischen spielend wogen,

Wo die Blumen spiegelnd stehen,
Von Libellen leicht umflogen.

Wie, dem Kinde gleich, die Welle
Gern um Tand die Körner Goldes

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Hingibt, die im Schoß der Berge

Sie mit Angst vom Geiz erworben,

Und den süßen Blütenregen
Freudig zu dem Fluß hinwoget,
Freudiger dann Fischersegel

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Trägt, und durch die Mühle toset,


Hohe Masten dann bewegend
In den breiten starken Flossen,

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [402] Es scheint naheliegend, daß Brentano in Strophe 45 bis 53 das Glücksgefühl seines „ernsten Schwagers Savigny“ schildert, der, als Brentano zu ihm nach Marburg zog, mit des Dichters Schwester Kunigunde verlobt war und sie im Herbste 1804 heiratete.
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_172.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)