Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 191.jpg

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Mutig stieg sie aus der Quelle,
Und die Nacht ist dunkler worden.

745
Da sie nackt in der Kapelle

Bleibe vor dem Licht verborgen,
Breitet sie der Haare Flechten
Um sich her bis auf den Boden.

Und auf ihre Augen senket

750
Nieder sie den Kranz der Rosen,

Den als Braut sie aus dem Tempel
Traurig trug in ihren Locken.

Da sie tritt zu der Kapelle,
Ist die Lampe schnell erloschen,

755
Ihre Keuschheit zu verehren;

Und sie suchet an der Orgel,

Wo der goldne Schlüssel hänget
Zu dem Grabe der Dolores;
In verzweifeltem Gebete

760
Hat sie dann die Gruft erschlossen.


Und die Stufen abwärts tretend
Sprach sie: „Heil euch, heilge Toten!
Wollet meine Blöße decken,
Einer armen züchtgen Tochter!“

765
Und sie hört die Stimme beben

Der verstorbenen Dolores:
„Liebe Tochter, wir dir geben
Hilfe, kniee an den Boden!“

Und sie fühlt sich um die Lenden

770
Ein Cilicium geschlossen,[1]

Und von einer schnellen Schere
Ihre Locken abgeschoren,

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [403] Cilicium, ein Bußgürtel aus Stahlgliedern mit Stacheln.
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_191.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)