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Und die eine sprach: „O Tochter,
Ich bin deiner Mutter Schatten.

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Weh mir, daß ich es geworden!

Rosatristis ist mein Name.

Und auch du, o Rosadore,
Hast durch mich das Licht empfangen;
Fürchte nichts, erheb vom Boden

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Deinen Blick, der mich erlabet.


Ach, so kann ich nach dem Tode
Mutterfreuden erst erlangen!
Wie unendlich ist die Wonne
Unergründlichen Erbarmens!“

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Und nun schweift sie wie ein Vogel

Freudig um das Bett der Kranken,
Und umschwebet Rosadoren,
Streifend kühl durch ihre Haare.

Rosarosens Lebenswoge

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Hebt sich nochmals Wellen schlagend,

Stumme Freudentränen flossen
Nieder von der bleichen Wange.

Denn sie hört im Ton der Worte
Jene Stimme widerschallen,

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Die ihr einst das Haupt geschoren,

Ihrer Blöße sich erbarmend.

Durch die Seele Rosadorens
Bebt ein tiefes, süßes Bangen;
Furchtlos hat emporgehoben

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Sie die Arme nach dem Schatten.


Denn sie sieht in dieser Nonne
Jenes Bildlein ihrer Kammer,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_217.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)