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Rosatristis spricht voll Wonne:
„O, gesegnet ist der Garten,

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O, wie herrlich stehn die Rosen,

Und der Herr wird sich erbarmen!

Aber eine weiße Rose
Muß ich traurend noch erwarten,
Sehen darf ich nicht die Tochter,

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Die unschuldge Rosablanke!“


Und nun hat sie aufgeschlossen
Den Bußgürtel, der die Kranke
Noch umgürtete – da flossen
Ströme Blutes von der Armen.

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Stürzend in den Arm Meliores

Aus dem Fenster bei dem Brande,
Hatte von des Gürtels Dornen
Tiefe Wunden sie empfangen!

Rosatristis spricht zum Troste:

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„Du stehst recht im Rosengarten,

Den der Herr bei seinem Tode
Für die Märtyrer gepflanzet.

Deines Blutes jeder Tropfen
Fällt auf meine Seele labend;

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Heilig hast du es vergossen,

Das in Sünden du empfangen.“

Und sie gürtet Rosadoren
Mit des Gürtels scharfen Stacheln:
„Wolle ihn um mich, du Tochter,

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Treu wie deine Schwester tragen!


Gebe ihn bei deinem Tode“,
Spricht die Nonne, „Rosablanken!“

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_219.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)