Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 236.jpg

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Glich dir, meine Rosadore,
Aber heilger, höher strahlend.

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Und ich selbst lag eingeschlossen

Kühl in einem Marmorsarge;
Auf der schweren Decke oben
Schlief der Knabe mit dem Lamme.

Rings um mich geliebte Tote

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Schlummerten zum letzten Tage;

Doch kein Sinn war mir verschlossen,
Und ich sah und hörte alles.

Ach, wie mag die Visionen
Alle ich in Worte fassen!

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Durch der Kirche hohe Bogen

Himmelschöre niederdrangen!“

Und nun sagte Rosadore:
„Ja, des Himmels Tore standen
Über diesem Tempel offen,

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Von den Seligen umscharet.


Und es stand die Mutter Gottes
Und der Heiland mit dem Lamme
Ganz bekränzt mit süßen Rosen
In des Lichtes ewgem Glanze.

825
Und der Engel Legionen

Sangen: Gnade! Gnade! Gnade!
Tausend Kränze heilger Rosen
Sah ich zum Altare fallen.

Und den Schleier einer Nonne

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Sah ich nehmen Rosablanken;

Eine Goldflut ihrer Locken
Vor der Schere niedersanken.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_236.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)