Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 237.jpg

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Singend stand ich auf der Orgel,
Vor mir stand die goldne Harfe;

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Aber stille und gestorben

Lag mein Herz in kalten Banden,

Wie in bösem Traum der Boden
Fliehenden die Füße bannet,
Hilferufenden der Odem

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Kämpfend in der Brust erstarret.


Lebend und doch eine Tote,
Sehend und doch dicht umnachtet,
Stumm, doch singend vollen Tones,
War ich wie von Stein umfangen.

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Neben mir stand schwarz Apone.

Weh, o weh, was er gesaget,
Was er sprach vorhin im Zorne,
Füllet mich mit tiefem Bangen!

Doch am Altar aufgezogen

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Ward ein himmelblauer Mantel,

Und das Bild der Mutter Gottes
Grüßte laut des Volkes Ave.

Und ich hört in meinen Ohren:
Ave, Salve, Mater! schallen,

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Und aus meinen Augen quollen

Wieder Tränen auf die Wangen.

In der Kirche hohem Dome
Schmetterten die Nachtigallen,
Ganz durchzucket von dem Tone

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Fühlt mein Herz ich wieder schlagen.


Und ich bin emporgeflogen,
Eine Stimme, singend Ave,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)