Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 361.jpg

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Öd in tränenlosem Jammer
Sieht er ihre Leiche an.

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Engel, die ihr Haupt umschweben,

Die zu ihren Füßen knien,
Konnten ihm nicht Tränen geben,
Tränen sind ihm nicht verliehn.

Seit die Augen sie geschlossen,

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Die ihm Lust und Leid gespiegelt,

Ist in Tränen er zerflossen,
Und nun ist ihr Quell versiegelt.

Irdisch kann sie nicht mehr scheinen,
Die der Erde zu vereinen;

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Irdisch kann er nicht mehr weinen,

Und sein Herz will ihm versteinen.

Ja, ein Grab von Marmorfelsen
Haut der Schmerz in seinem Herzen,
Was nicht springen will, muß schmelzen

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Von der Glut der Trauerkerzen.


Ist die Halle erst geweitet,
Wird sie ruhen in den Felsen,
Wenn er still zur Türe schreitet,
Einen Stein davor zu wälzen,

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Also schwer und ungeheuer,

Daß kein andrer ihn beweget,
Als Luft, Erde, Wasser, Feuer,
Wenn sie Gottes Zorn erreget.

Und wenn so die Gruft verschlossen,

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Wird er auf den Felsen steigen,

Klipp vor Klippe unverdrossen,
Um den Gipfel zu erreichen.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_361.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)