Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 366.jpg

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Trauer ist mein Kleid, ich weine
An der Mutter Sterbetage;

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Wenn ich dir zu arm nicht scheine,

Laß mich folgen deiner Klage.“

Da sprach zu ihr Jacopone:
„Du sollst bei dem Leichenwagen
Ihr die jungfräuliche Krone,

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Die du ihr geflochten, tragen.


Dieses ist des Landes Sitte;
Zwischen Pietro und Meliore
Sollst du schreiten in der Mitte
Mit dem Kranz im Trauerchore.“

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Aber plötzlich brach das Schallen

Aller Glocken durch die Luft,
Und der Priester in die Hallen
Tritt mit Kranz und Weihrauchduft.

„Es ist Zeit, wir müssen wallen,“

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Spricht er, „weil die dunkle Gruft

Dieser jetzt, wie einst uns allen,
Mit metallner Zunge ruft.“

Acht Matronen tief in Trauer
Tragen nun den Sarg hinab,

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Stellten ihn zum Trost der Schauer

Unterm Baldachine ab.

Und die Ritter mußten wehren
Mit dem Schwert die Totenschau,
Doch ein jeder wollte ehren

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Noch einmal die fromme Frau.


Und es zieht, sie anzuschauen,
Vor ihr hin der Leichenzug;

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_366.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)