Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz A 048.jpg

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ungekünstelte Improvisationen, wie sie keiner vor ihm und bislang keiner nach ihm gesungen hat. Also auch in der Form sein Eigenstes, ganz aus ihm.

Bringt es nun die gewählte Form der Erzählung in Romanzen mit sich, daß die einzelnen Ereignisse uns in gesonderten, abgerundeten Bildern vorgeführt werden, so folgt aus dem Charakter der Romanze als Kunstgebilde anderseits, daß diese vorgeführten Bilder, um in sich geschlossen und abgerundet zu sein, hie und da über ihre Bildgrenzen hinausgehen. Denn das Gedicht verträgt keine Verweisung auf das nächste Kapitel und keine Bezugnahme auf ein früheres. Wie wir auf zyklischen Darstellungen alter Meister bei der Anbetung der Hirten den Zug der hl. drei Könige aus der Ferne herankommen sehen, der dann auf der nächsten Tafel, welche die Anbetung der Könige bringt, aufgelöst vor unserem Auge erscheint, so begegnen wir auch, durch die Natur der Sache gegeben, in den Romanzen Wiederholungen von Ereignissen, so des das Hauptereignis bildenden Theaterbrandes, der übrigens nicht, wie Morris meint, zweimal, sondern dreimal geschildert wird, wo einmal Rosarosa der Mittelpunkt, das anderemal Biondetta der Mittelpunkt, und wo Apo der Veranlasser und Beobachter ist. Wir sind keineswegs der Meinung, daß der Dichter bei wiederholter Überarbeitung solche Stellen abgeändert und ineinandergearbeitet haben würde. Die Romanze als Schöpfung trägt ihre äußere Form in sich selbst, ihr Inhalt gibt ihr die Figur, sie ist, um mit des Dichters Worten zu reden, „aus sich selbst figuret“. Und das gilt auch vom Längenmaß. Gerade die Ungleichheit der Romanzen in Bezug auf ihre Länge ist der Maßstab ihrer künstlerischen Vollendung.

Daß bei Gleichzeitigkeit mehrerer Ereignisse eine strenge Chronologie der Erzählung nicht eingehalten werden konnte, ergibt sich von selbst. Das erwähnte Übergreifen der einen Romanze in die andere heilt aber diesen anscheinenden Mangel. Nur bei einer Prosadichtung würden wir ihn als solchen

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Petrus-Verlag G.m.b.H., Trier 1912, Seite XLVIII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_A_048.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)