Seite:Burney - Tagebuch einer musikalischen Reise 3. Bd 1773.pdf/285

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hab’ ich schon in der Nachricht von meiner Reise durch Italien gezeigt, daß die lombardische, die venezianische und die neapolitanische Schulen ihre charakteristische Kennzeichen haben. Eben das könnte man auch von den verschiedenen Arten von Style in den Kompositionen und dem Vortrage der vornehmsten Städte in Deutschland beweisen. Wien unterscheidet sich durch Feuer und Invention; Manheim durch eine nette und brillante Execution; Berlin durch Contrapunkt; und Braunschweig durch Geschmack. Allein, ohne ein Land dem andern, oder eine Stadt der andern Stadt entgegen zu setzen, kann man überhaupt von Deutschland sagen, daß die musikalischen Tugenden seiner Eingebornen in Geduld und Gründlichkeit und ihre Fehler in Weitschweifigkeit und Pedanterie bestehen.[H 1]

Anmerkungen (H)

  1. Da steht endlich unser Debet und Credit; und wir armen Deutschen wüßten nunmehr, wie unsre Sachen stünden, wofern wir nur die Hälfte, und vermuthlich die überwiegende Hälfte unsrer zwo Cardinaltugenden, Geduld', üben, und nicht pedantischer Weise unsern unbeeidigten Buchhalter fragen wollen, ober er auch alles richtig aufgezählt habe. – Im Ernste, wenn man sich wieder besinnt was man gelesen hat, und wie viel Gutes Herr Burney von der Originalität unsrer deutschen Tonmeister, von Hasse, Gluck, Bachs, Vanhall, Hofmann, Schwanberger, Benda, Müthel, Händel u. a. m. gesagt hat: so sollte man auf den Gedanken kommen, daß dieses Endurtheil weniger aus einer kaltblütigen Ueberlegung der Gründe für und gegen eine ganze Nation, als vielmehr aus der mit Anmuth getändelten, [280] schönen Symetrie der vier Worte Patience, Profundity, Prolixity und Pedantry, die alle so artig mit einem P. anfangen, entsprungen sey. Sollte diese Anmerkung jemanden ein harter Vorwurf scheinen, den bitte ich, zu bedenken, daß sie bey einer Gelegenheit gemacht wird, da einer ganzen Nation, über eine Kunst, in der sie allen andern Nationen die achtungswürdigsten Meister geliefert hat, mit vier Worten und eben so cavallierement ihr Urtheil gesprochen wird, als ob ein junger Herr von seinem Schneider urtheilte, der ihm ein Kleid nicht zu Danke gemacht hätte. Uebrigens verkenne ich das viele Gute des Herrn Burney’s keineswegs, besonders schätze ich sein lebhaftfühlendes Herz, das ihn selten anders, als bey Nationalvorurtheilen, und wenn ihn die bösen Wege in üble Laune gesetzt haben, zu verlassen pflegt, recht sehr hoch!
    Der Uebersetzer.