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Otto Sarrazin und Karl Schäfer (Red.): Centralblatt der Bauverwaltung

welche ein Zurückstauchen, wenn Ueberschuss hinter dem Schiff und den Seilscheiben vorhanden ist, veranlassen und damit die ganze Endspannung aufheben kann, sodass ein Gleiten des Seiles auf den Trommeln die Folge wird. Um dies zu verhindern, nahm man bisher, wie z. B. bei den Rheindrahtseildampfern, statt der glatten Seilscheiben die Fowlersche Trommel und legte ausserdem den gesamten Treibmechanismus an die eine Seite des Schiffes. Die Klappen der Fowlerschen Trommel oder Scheibe führen das Seil zwar sicher und ohne jedes Gleiten ab, haben aber den grossen Nachtheil, die Drähte zu (quetschen und dadurch stark abzunutzen, noch dazu in einem Augenblicke, in welchem das Seil durch die Biegung um die Scheibe eine aussergewöhnliche Beanspruchung erleidet.

An diesem Punkte setzt nun die Verbesserung des Herrn Wernigh ein. Er erfand eine Einrichtung zur Erzeugung der hinter den Seilscheiben erforderlichen Endspannung und war nunmehr im Stande, Bau und Einrichtung der Dampfer zweckmässig zu gestalten. Die Figuren 1–6 geben ein Bild der Wernighschen Drahtseilschiffe, wie sich dieselben erfahrungsgemäss nach den verschiedenen Versuchen auf der Oder und einem Theil der Havel und Spree, sowie durch einen längeren Betrieb auf dem Unterrhein von Ruhrort bis Rotterdam als zweckentsprechend ergeben haben. Der Betrieb musste jedoch aus Gründen, welche ausserhalb der technischen Fragepunkte lagen, jedesmal wieder aufgegeben werden.

Die Schiffe sind vorn und hinten ganz gleich, oder, wie auf den beigegebenen Zeichnungen, in dem stromaufwärts gerichteten Theile etwas schärfer gebaut. Der Dampfer vermag demnach sowohl vorwärts wie rückwärts zu fahren, ohne gedreht zu werden. Der wünschenswerthe geringe Tiefgang bedingt eine verhältnissmässig grosse Länge und Breite des Fahrzeugs, um die für Maschine, Kohlen, Mannschaft und Ausrüstung erforderliche Tragfähigkeit zu erlangen. Das Seil geht über die Mitte des Schiffes, welches, an seinen Enden abgeflacht, ein freies Spiel des Taues bei seitlicher Ablenkung gestattet. Zwei Führungspoller begrenzen vorn und hinten den erhöhten Theil des Fahrzeuges, welcher zugleich der Länge entspricht, auf welche das letztere in das versenkte Seil eingeschaltet ist. Je geringer dieses Mass ist, um so grösser wird die Steuerfähigkeit des Schiffes, welche bei dem Wernighschen System als eine durchaus gleichmässige und selbst bei schwierigen Verhältnissen genügende bezeichnet werden muss.

Betrachtet man nun den in der Abbildung von links nach rechts fahrenden Dampfer, so geht das vorn gespannte Drahtseil zunächst zwischen den erwähnten vorderen Pollern A hindurch, darauf durch die in diesem Fall gelöste und nur für die Rückfahrt in Thätigkeit tretende Abführvorrichtung B und dann in dreifacher Umwicklung um die beiden Seilscheiben CC. Mittels der Seilscheiben windet das Schiff sich an dem versenkten Tau stromaufwärts und sind die Scheiben durch Zahntriebräder mit der Dampfmaschine gekuppelt. Es kann dabei die Einrichtung so getroffen werden, dass für die langsamere und mehr Kraft erfordernde Bergfahrt ein anderes Getriebe eingeschaltet wird, wie für die schnelle und mühelose Thalfahrt.

Fig. 7–14

Nachdem das Seil die Scheiben verlassen, wird es über Deck zu der hinteren Abführvorrichtung D geleitet und fällt endlich nach dem Durchgange durch das letzte Pollerpaar E über den abgeflachten Rücken des Schiffes in das Wasser zurück. Die Abführvorrichtung dient, wie bereits erwähnt, dazu, die von dem Gewicht des Seiles nicht unter allen Umständen gewährleistete Endspannung nach dem Verlassen der Seilscheiben hervorzubringen; in den Figuren 7–14 ist sie in grösserem Massstabe gezeichnet. Den Hauptbestandtheil bildet die von Wernigh erfundene Seilscheibe mit wellenförmiger Rille. Dieselbe hat das Ansehen einer gewöhnlichen, bei Flaschenzügen angewendeten Rolle, nur ist die dort in gerader Richtung am Umfange vorhandene, zur Aufnahme des Seiles bestimmte Rinne hier in schwach wellenförmiger Linie um die Rolle gelegt. Figur 13 zeigt den Umfang der mit wellenförmiger Rille versehenen Seilscheibe in der Abwicklung, während durch Figur 14 auf einfachste Weise gezeigt ist, welchen Zweck man mit der Neuerung verfolgt: ähnlich wie ein Mann, der einen Zug an einem Seil ausführen und dabei verhindern will, dass ihm das Tau aus den Händen gezogen wird, durch die Stellung der letzteren eine schwache Doppelbiegung in dem Seil erzeugt, ähnlich soll auch die wellenförmige Rille die mit ihr versehene Rolle, wenn dieselbe durch eine Kraft in Umdrehung versetzt wird, befähigen, ein über sie geführtes Seil zu erfassen und fortzuziehen. Der Grund liegt in der ausserordentlich grossen ruhenden Reibung, welche die nur unbedeutend gekrümmten Wellen erzeugen. So beträgt z. B. bei einer Rolle von 1,00 m Durchmesser, deren Rille mit 12 Wellen von je 10 mm Pfeilhöhe versehen ist, unter Annahme eines Reibungscoefficienten a=1/3 die bei halber Umwicklung entstehende Reibung, wenn ein auf der einen Seite der Scheibe herabhängendes Gewicht P aufgewunden werden soll, 14,02 P, während dieselbe sich bei gewöhnlicher Rolle nur zu 1,85 P ergiebt. Man kann auch umgekehrt sagen, die Kraft ‘‘P‘‘ auf der einen Seite der Seilscheibe mit wellenförmiger Rille vermag einer Kraft von 15,02 P auf der anderen Seite das Gleichgewicht zu halten.[1] Eine etwas abweichende Betrachtungsweise führt sogar zu noch grösseren Zahlen.

Von diesen Rollen mit wellenförmiger Rille hat Wernigh nun ein Paar verbunden und mit der Schiffsmaschine und den grossen Triebseilscheiben in Zusammenhang gebracht. Da nur die eine der Rollen unmittelbar von einem Winkelrade in Bewegung gesetzt wird, so ist die zweite mit der ersten durch Stirnräder verbunden. Wenn die beiden Rollen sich drehen, ziehen sie das zwischen ihnen durchgeführte und von den wellenförmigen Rillen erfasste Seil fort und erzeugen so die an den grossen Triebseilscheiben erforderliche Endspannung. Zur grösseren Sicherheit, dass dies auch wirklich geschieht, ist die letzte, kleinere Seilscheibe c mit einem etwas höheren Rande versehen, sodass die Umfangsgeschwindigkeit desselben vermehrt und eine geringe, Zug erzeugende Beschleunigung in der Abführung des Seiles erreicht wird. Eine den Rand der grösseren Rolle mit der Achse verbindende und in Figur 10 bei o gezeichnete Reibungskupplung soll verhüten, dass jemals das Seil in der wellenförmigen Rille gleitet und diese sowohl, wie sich selbst abnutzt; vielmehr soll in diesem Falle der Rand auf dem mittleren Theile der Rolle sich in der Richtung des im Seil ausgeübten zu grossen Zuges drehen. Diese Einrichtung erscheint übrigens als eine überflüssige und der Einfachheit wegen besser unterbleibende Vorsicht.

Soll die Vorrichtung ausser Thätigkeit gesetzt werden, was z. B. stets am jedesmal vorn befindlichen Schiffstheile oder auch am Hinterende beim Ausfahren von Curven (wobei die erforderliche Endspannung von selbst vorhanden ist), der Fall sein muss, so geschieht die Auslösung selbstthätig. Die in dem Seil dann vorhandene Spannung hebt die auf ihm ruhenden Rollen c und g in die in Figur 8 dargestellte Lage, wobei sie von einem Gegengewichte d unterstützt wird. Das Tau geht dann frei zwischen den Seilscheiben mit wellenförmiger Rille b und c hindurch. Vermöge dieser selbstwirkenden Auslösung wird das Seil nur dann die durch die Wellen

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Otto Sarrazin und Karl Schäfer (Red.): Centralblatt der Bauverwaltung. Verlag von Ernst und Korn, Berlin 1885, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Centralblatt_der_Bauverwaltung_(IA_centralblattderb5188unse).pdf/387&oldid=- (Version vom 7.3.2021)
  1. Näheres, sowie die mathematische Begründung ist in der Deutschen Bauzeitung, Jahrgang 1882 Nr. 89 gegeben.