Seite:Chemische Briefe Justus von Liebig p 009.jpg

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sein Viehstand ist beträchtlich; er erzeugt reichlich Stalldünger und er wendet denselben nicht sparsam an; er hat eine Oelmühle, die ihm in den Oelkuchen, eine Branntweinbrennerei oder Bierbrauerei, die ihm in den Rückständen nach der Verfütterung werthvolle Beidünger liefert; wenn er Mangel an Dünger hat, so besitzt er dagegen Geld, mit welchem er Guano, Chilisalpeter, Knochenmehl und Repskuchenmehl ankauft; sein Wissen besteht in der Bekanntschaft mit dem Werthe des Stalldüngers und der genannten Beidünger, die er sehr richtig schätzt und anwendet; sein Verwalter oder Baumeister überwacht die ein für allemal geregelte Fruchtfolge und die Düngungszeit, ohne hierzu wissenschaftlicher Lehren zu bedürfen; es sind für ihn, so sagt dieser, andere Verhältnisse massgebend, die ihm genug zu schaffen machen.

Der reiche Gutsbesitzer ist ein gebildeter Mann, welcher noch gewisse geistige Bedürfnisse hat. Die landwirthschaftliche Literatur füllt diese Lücke aus; der landwirthschaftliche Schriftsteller belegt mit theoretischen Gründen die Trefflichkeit des empirischen Verfahrens, er befestigt die Ansichten des praktischen Mannes und giebt ihnen die wissenschaftliche Rundung. Wenn auch die Erklärungen zuweilen ganz unbestreitbaren Wahrheiten widersprechen, so haben sie dagegen den Vortheil, dass der Landwirth glaubt, sie seien seinen Erfahrungen entsprechend; um mehr als dessen Zufriedenheit damit, was man die Uebereinstimmung der Praxis mit der Theorie nennt, handelt es sich dabei nicht. In der Korn- und Fleischerzeugung z. B. bleiben die im Stalldünger wirkenden Alkalien auf den Feldern zurück, und im Betriebe nimmt die Menge derselben eher zu als ab; ein Ersatz derselben ist darum nicht nothwendig, oft überflüssig. Was in der Natur des Betriebes liegt, erklärt der Schriftsteller dem praktischen Mann aus der Natur seines Bodens; er sagt ihm, der Ersatz der hinweggenommenen Alkalien sei darum nicht nothwendig, weil sein Boden unerschöpflich daran sei; dies ist zwar ein Widerspruch mit allem was die Chemie darüber weiss, allein es ist wohl ganz gleichgültig, ob der Boden erschöpflich ist oder nicht, wenn die Hauptsache, ein weiterer Ersatz von Aussen durch Kauf etc., gleichgültig ist.

Der Schriftsteller belehrt den praktischen Mann ferner, warum der Guano und die andern Düngmittel, womit er dem Stalldünger zu Hülfe kommt, so nützlich für ihn sind; es sei klar, so sagt er, dass alle diese Stoffe in dem Stickstoff einen gemeinschaftlichen Bestandtheil besitzen, und da die Anwendung derselben einen gleichen Erfolg (eine entsprechende Steigerung der Erträge) habe, so sei selbstverständlich,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite XI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_p_009.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)