Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 102.jpg

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Marienbildes und das Ansehen desselben erhalten können, sonst würde die Kirchenmalerei ganz zur weltlichen Conversationsmalerei entartet seyn.

Es war falsch, jenen alten Typus in irgend welche Nationalphysiognomie hineinziehen zu wollen und uns schöne Römerinnen, Florentinerinnen, Venetianerinnen, am Ende gar Zigeunerinnen als Madonnen zu malen. Es war eben so falsch, ja häufig sogar sündhaft, sie einem lebenden Portrait nachzubilden. Gab es doch Kirchenfürsten, die sich nicht entblödeten, ihre Maitressen als Madonnen portraitiren zu lassen; und zu viele Maler wählten zum Modell ihre sehr irdischen Geliebten. Das Interesse aber, welches das künstlerische Auge an den schönen Gesichtsformen, Augen, Haaren, Teint, Tracht und Schmuck einer irdischen Schönen nimmt, sollte nie verwechselt werden dürfen mit der Andacht, zu der ein Marienbild auffordert. In dieser Beziehung bedurfte und bedarf die Kirchenmalerei einer strengen Reinigung und Säuberung. Alles, was an weltliche Koketterie und an die irdische Weiberlust der Künstler erinnert, muss dem Heiligen fern bleiben. Wenn einer der grössten Maler der Madonna die röthlichen und wolligen Haare seiner irdischen Geliebten gibt und darum von allen Kunstkennern bewundert wird, so ist es doch eine Entweihung des heiligen Gegenstandes, solche persönliche Liebhabereien auf ihn zu übertragen und den alten Typus der Marienbilder so willkührlich zu verfälschen.

In gleicher Weise unziemlich ist das gemein Natürliche, wenn Maria, aller Hoheit und Heiligkeit entbehrend, zwar als ein unschuldiges und ehrliches, aber doch nur als ein gemeines Bürgermädchen oder wie eine ganz gewöhnliche Hausfrau und Mutter dargestellt wird. In solcher Gemeinheit haben sich nur zu viele Künstler gefallen, sey es, dass sie selbst kein höheres Ideal kannten und achteten, sey es, dass sie es als Stümper in der Kunst nur nicht zu erreichen wussten. Die Maler sind in der gänzlichen Trivialisirung der heiligen Geschichte den Rationalisten lange vorangegangen. In der That kann ein Bretschneider, Paulus etc. von der Mutterschaft

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_102.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2022)