Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 104.jpg

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und fast trotzigen Lippen zurückgehaltene Wort nur noch Anbetung fordert, aber keine mehr leistet, während zugleich eine warme Sinnlichkeit, eine geheime Gluth ihre vollen italienischen Formen einzunehmen scheint. Hier vermissen wir neben der Hoheit und dem Zauber des Schönen gerade das Heilige und den Ausdruck der Demuth. Daher auch die Begeisterung, mit welcher diese Bilder im Jahrhundert des Unglaubens gepriesen wurden, die Andacht ganz ausschloss. Vielen anderen, überaus frommen Marienmalern, namentlich spanischen und deutschen, ging jener Zauber des Schönen ab, und ihren heiligen Frauen mangelte der Liebreiz. Man thut am Besten, gar nicht nach den Meistern der Bilder zu fragen, sie gar nicht aus dem Gesichtspunkt der Kunstkennerschaft anzusehen, sie vielmehr alle als unvollkommene Copien eines unerschöpflich schönen und unerreichbar heiligen Urbildes zu betrachten und, was dem Maler gefehlt hat, durch die eigne Andacht zu ersetzen, wie Andrea d’Auria. Dieser fromme Mönch nämlich rettete ein Marienbild, welches einem vornehmen Besteller in hohem Grade missfallen hatte, und nahm es zu sich, und siehe, in den Händen des wahren und andächtigen Verehrers gedieh das vorher hässliche Bild zu wundervoller Schönheit. Maier, Neapel I. 135.

In demselben Maass, in welchem die Künstler die altherkömmliche Heiligkeit in der Jungfrau Maria verliessen und ihr eine freiere Bewegung und weltlichere Miene gaben, änderte sich auch die Gruppirung der Mutter mit dem göttlichen Kinde. Auf den ältesten Bildern der Kirche steht das Kind vor der Mutter und wird von ihr gehalten. Später trägt sie es stehend auf den Armen, dann sitzend auf dem Schooss, und zuletzt wird das Kind schlafend, spielend etc. in den mannigfachsten Situationen von der Mutter abgetrennt.

Eine Menge wunderthätiger Marienbilder, an eine bestimmte Oertlichkeit gebunden, hat auch besondere Attribute. Viele derselben wiederholen sich. So kennt man in Deutschland und Frankreich gemeinschaftlich sehr viele „Unsre Liebe Frauen zur Eiche, zur Linde etc.“, weil auf solchen Bäumen

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_104.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2022)