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etwas Seltenes, seit Abraham, Jakob, Joseph war keiner mehr von Jehovah der Ansprache gewürdigt worden. Zudem war inzwischen das Volk viel grösser geworden. Ein erblicher Priesterstand schien also die heiligen Traditionen am sichersten bewahren und das Volk leiten zu können. Was der Prophet nur einmal in Zeiten der Krise auf ungewöhnliche Weise leisten konnte, sollte der Priester nun zu allen Zeiten und gewöhnlich leisten. Wie aber dem Propheten der Geist Gottes allein genügte, so musste dem Priester das geschriebene Gesetz zur Richtschnur und Waffe gegeben werden.

Im mosaischen Gesetz offenbart sich vorherrschend die Gerechtigkeit für das Zeitliche, während in dem christlichen Evangelium die Liebe zum Ewigen führt. Jenes Gesetz ist das harte, stachlige Kelchblatt, aus dem die zarte Blume des Christenthums hervorbrechen sollte.

In dem mosaischen Gesetz kommen eine Menge Bestimmungen vor, die uns Christen jetzt zu hart scheinen, die gleichwohl damals nöthig waren. Das Christenthum hat die Offensive ergriffen, um alle Völker der Erde in sich zu vereinigen. Das Judenthum hatte in ängstlicher Defensive sein heiligeres und reineres Princip zu schirmen, um nicht im Heidenthum unterzugehen. Daher die vielen Absonderungs- und Reinigungsgesetze, die darauf berechnet waren, das Volk vor jeder Berührung mit den Heiden, ihrem Cultus und ihren Sitten zu hüten. Viele andere Gesetze Mosis erscheinen uns fremdartig oder unnütz, während sie für das südliche Klima wohlberechnet waren und zum Schutz der Gesundheit dienen sollten. Das Princip ihres Criminalcodex: „Aug um Aug, Zahn um Zahn,“ erscheint uns freilich hart, allein ehe mit Christo die Liebe in die Welt kam, musste die Gerechtigkeit dem Uebel steuern. Rauhere Zeiten und Gemüther verlangten rauhere Gesetze. Doch fehlt dieser Rauhigkeit auch ein milder Gegensatz nicht. Wenigstens innerhalb des jüdischen Volkes selbst musste zu gewissen Perioden Alles vergeben und vergessen seyn. Das Halljahr, oder je das 50ste Jahr,

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_146.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2023)