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die christliche immer würdig gegenüber, selbst wo unschuldige Naivetäten bei Malern oder Dichtern unterlaufen. Dante drückt in seinem grossen Gedicht durch Alles, was in seinem Paradiese körperlich und sinnlich wahrnehmbar erscheint, doch immer nur Geistiges und Tugenden aus. Die altitalienischen Maler deuten die schöne Landschaft auch nur mit wenig Grün an, drücken aber das Paradiesische desto zarter in den verklärten Mienen der Seligen aus. Signorellis schönes Bild in Orvieto zeigt nur Engel, die über Selige Blumen streuen. Der tiefste Gedanke, vor dem alle Erinnerungen irdischer Freude verschwinden, und das Geistige imperatorisch hervortritt, ist in der Lehre enthalten, nach welcher das Schauen Gottes der Seligkeiten höchste ist.

Im Paradiese convergirt gleichsam alles Räumliche zum Auge Gottes und wird eben so das Zeitliche wunderbar zusammengedrängt. Davon die schöne Legende vom Mönch Felix, wovon ein altdeutsches Gedicht in einer Gothaer Handschrift. Grimm, altd. Wälder II. 70. Coloczaer, Codex Nr. 10. Paulli, Schimpf und Ernst, 1595, Nr. 536. Genthe, Dichtungen des Mittelalters II. 273.

Der Mönch Felix las in der heiligen Schrift (Psalm 90, 4. 2. Petri 3, 8.), dass die Seligkeit im Himmel Alles übertreffe, was der Menschen Auge und Ohr sich vorstellen könne; daran zweifelnd, hörte er einen Vogel (aus dem Paradiese) wunderherrlich singen und hörte ihm die ganze Nacht zu. Als die Morgenglocke läutete, kehrte er in’s Kloster zurück, aber Niemand erkannte ihn, es waren hundert Jahre verflossen. – Dieselbe Legende wird in Montanus, Vorzeit von Cleve II. 257. vom Mönch Erpho im Kloster Siegburg erzählt. Ganz dasselbe erzählt Wolf in den niederl. Sagen Nr. 148. von einem Mönch des Klosters Afflighem. Desgleichen Cornerus (chron. ad annum 834) vom jungen Grafen Bringus, der an seinem Hochzeittage verschwand. Vgl. auch v. Schack, dramat. Lit. d. Spanier II. 510, die Sage vom heiligen Amarus.

Derselbe schöne Gedanke wiederholt sich im Volksliede von des Commandanten Tochter. Vgl. des Knaben Wunderhorn

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_194.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2023)