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Legende von Pilatus, die auch im 13ten Jahrhundert in altdeutsche Verse gebracht wurde, jedoch in dieser Form nicht vollendet auf uns gekommen ist. Vgl. Mone, Anzeiger 1835, S. 424. Vilmar, Nationallit. S. 208. Dieselbe Legende steht auch im altdeutschen Passional (herausg. von Hahn 1845, S. 81). Nach dieser Legende war Pilatus von dem deutschen König Atus mit der Pila, Tochter eines einsam im Walde wohnenden Müllers, gezeugt, brachte aber nachher den rechtmässigen Sohn des Königs, seinen Bruder, um, und wurde von seinem Vater nach Rom geschickt als Geissel. Auch hier lud er Blutschuld auf sich und wurde nach dem Pontus geschickt, die dortigen Barbaren zu bezwingen, daher er Pontius zubenannt wurde. Als er sich hier durch Tapferkeit und Grausamkeit ausgezeichnet, schickte man ihn in's heilige Land, die Juden im Zaume zu halten. Hier nun ward er Schuld am Tode des Erlösers, was ihn nachher so reute, dass er, nach Rom zurückgekehrt, sein Leben freiwillig im Tiber endete. Aber sein Geist fand keine Ruhe und erregte im Fluss solche Ueberschwemmungen, dass man den Leichnam aufsuchte und aus dem Tiber über Meer in die Rhone führte. Nun tumultuirte er aber dermassen auch in der Rhone, dass man sich endlich entschloss, ihn in einen tiefen See in den Alpen auf dem nach ihm benannten Pilatusberge bei Luzern zu versenken, wo er nun noch immer haust und böse Wetter erregt.

Zu der Annahme, er sey aus Deutschland gekommen, gab der Söldnerdienst der Germanen in den römischen Legionen Veranlassung, zumal da die in Jerusalem stationirte Legion wahrscheinlich Deutsche unter sich zählte. Daher auch die mancherlei Spottreden über die Westphalen, die eigentlich Christum sollen gekreuzigt haben.

Die abyssinischen Christen haben den Pilatus als Heiligen in ihrem Kalender (19. Juni), weil sie seine Unschuld am Tode Jesu voraussetzen. Harris Schoa II. 107.

Christus vor Pilatus, gemalt von Tintoretto in Venedig. Ein berühmtes Bild von Schiavone ist gestochen von Groensvelt

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_235.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2023)