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Aufwallung sich ausdrücken, nicht in wilden Blicken, noch weniger aber in ruhigem Behagen.

Die Kleidung der Sibyllen darf sich der Nationalität anschmiegen, der sie angehören, muss aber einen mehr oder weniger priesterlichen Charakter haben; doch sind ihnen herkömmlich bunte Farben und etwas Phantastisches gestattet, um das Heidnische ihres Wesens zu bezeichnen. Ihr Attribut ist (wie bei den Propheten) eine Schriftrolle, denn sie haben Bücher hinterlassen. Sehr oft haben sie Zettel mit Sprüchen bei sich, die aber zu wenig charakteristische Unterschiede darbieten. Vgl. Piper, christl. Myth. I. 496. In den Heures d’ Anne de France und in altfranzösischen Kirchen tragen die Sibyllen Attribute der Geburt und Passion Christi, zum Beweise, dass sie dieselbe prophezeiht haben, neben allgemeinen Attributen. Nämlich: die persische trägt eine Laterne, die libysche eine Kerze, die erythräische eine weisse Rose, (Verkündigungssymbol), die cumanische eine Krippe, die samische eine Wiege, die kimmerische ein Trinkhorn, die europäische ein Schwert, die tiburtinische eine Hand (womit Christus den Backenstreich bekam), Agrippa die Geissel, die delphische Sibylle den Dornenkranz, die hellespontische das Kreuz, die phrygische die Siegesfahne (der Auferstehung). Didron, man. p. 152.

Die Sibyllen stehen, wie schon bemerkt, auf Kirchenbildern oft den Propheten gegenüber. Alsdann haben sie heidnische Genien über sich, die Propheten aber jüdische Engel. Piper a. a. O. I. 368. Auch stehen die einzelnen Sibyllen in der Reihe gewöhnlich durch antike Säulen voneinander gesondert, was gleichfalls ihren heidnischen Ursprung bezeichnet. — Nicht selten dienen die Sibyllen als Karyatiden, als lebendige Pfeiler, desgleichen als Randverzierungen, um die heilige Geschichte einzurahmen. Das, was sie verkündet haben und was wirklich geschehen ist, bildet die Mitte des Bildes, in den Rahmen aber kommen sie selbst aus dankbarer Anerkennung. So in Kirchen, so in Miniaturbildern der alten Evangelienbücher. Wo nicht alle Sibyllen Platz

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_375.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)