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und finden Faust am Morgen im Zimmer, vom Teufel in Stücke zerrissen. Helena und das kluge Kind waren verschwunden. – So das alte Volksbuch, das mit Ausnahme der gerügten Schwänke ein tiefdurchdachtes Ganzes darbietet. Leider ist es bald durch das elende Machwerk Widmanns von 1599 verdrängt worden, in welchem nur die Schwänke vermehrt, das Tiefe und Geistreiche aber weggeblieben sind.

Eine grosse Menge neuer Dichter haben die Faustsage behandelt wie die Sage vom ewigen Juden, im Widerspruch mit der christlichen Grundidee. Anstatt einen groben Sünder in ihm zu zeigen, liebkosen sie ihn als einen Helden, als einen Vorkämpfer der Menschheit, welche die Banden der göttlichen Autorität zu sprengen berechtigt sey. Sie beseitigen den Teufel als einen Wahn und führen ihren Faust entweder getrost in den Himmel ein, oder veredeln ihn wenigstens zu einem kühnen Prometheus und lassen ihn dem Christengott wie einem ungerechten Jupiter trotzen. In Göthe’s Faust culminirte die weichherzige, sentimental-frivole, in Byrons Manfred die rigoristische, sturm- und drangliche Auffassung. Göthe lässt zwar im Eingang des Gedichts den Faust die Miene annehmen, als lebe in ihm ein tiefer, unersättlicher Wissensdrang, allein nachher geberdet sich Faust lediglich als sentimentaler Don Juan und kommt aus der Weiberliebe nicht mehr heraus. Somit nimmt Göthe aus der alten Sage nur das Eitle, Kleinliche und Wollüstige, nicht auch das Grossartige, Titanenhafte oder Danteske auf. Am Schluss stellt sich Göthe sogar mit der alten Sage in direkten Gegensatz, indem er den Faust, anstatt ihn vom Teufel holen zu lassen, im Triumph und unter obligater Assistenz aller himmlischen Heerschaaren in den Himmel einführt. Weiter konnte man die sentimental - frivole Auffassung nicht treiben.

Byron hat dagegen die Maler Müller-Klinger’sche Auffassung bis auf die Spitze getrieben, indem er in der Charakteristik seines Manfred zu allem Stolz und Trotz, den der

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_275.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)