Seite:Christliche Symbolik (Menzel) I 311.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

thaten es mit flach zurückgebogenen, die Juden mit zusammengelegten Händen. Moses hob die Arme empor, und da er schon zu alt war, musste man ihn unterstützen. 2. Mos. 17, 11. Die ersten Christen breiteten die erhobenen Arme auseinander, um mit ihrem Körper ein Kreuz nachzuahmen. Erst in der römischen Kirche kam der Gebrauch auf, die Arme gesenkt zu halten und nur die Hände zu falten.

Was die Form der Gebete betrifft, so sollen sie seyn, wie die Bibel sagt, goldne Aepfel in silbernen Schaalen, d. h. der Ausdruck soll des Inhalts nicht unwürdig seyn, wenn auch im Gedanken weit mehr Werth liegen muss als im Worte. Ernst und Würde ist wohl das erste Erforderniss, dann Kürze.

Ein bewundernswürdiges Maass herrscht in unserem „Vater unser“. Es ist ein Gebet, berechnet für den ruhigen und gesunden Zustand des Gemüths, ohne eine vorherige Aufregung oder Sünde vorauszusetzen. Es bittet nur um Gewährung des Nothwendigsten und um Abwendung des Schädlichsten für alle Fälle, wenn jenes mangeln oder dieses uns bedrohen sollte. Es lässt nichts Wesentliches aus und hat kein Wort zu viel. Hier ist der Inhalt wie der Form nach das schönste, das vernünftigste Maass.

Der leidenschaftliche Ausdruck passt nur für leidenschaftliche Situationen. Im Nothgebet kann der Herr in seinem Zorn gedacht werden, sonst immer nur am schicklichsten als der gütige Vater. Im Nothgebet kann auch die menschliche Schwachheit ihr Ich jammernd geltend machen und um ein Vorrecht flehen, was im ruhigen Zustande als unwürdiger Egoismus angesehen werden muss. Das Nothgebet kann zittern und stammeln, kann länger als ein anderes Gebet wimmern, kann auch als kurzes Stossgebet nur den Nothschrei der Natur thun. Alle diese Formlosigkeiten entschuldigt die Grösse der Noth. Das Dankgebet dagegen darf im stolzen und triumphirenden Schwunge sich ergehen, die Zuversicht aussprechend auf den treuen Gott, der seine

Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_311.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)