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niederfallen, um die Jeder gebeten hat. Das viele, laute und anspruchsvolle Beten unwürdiger Menschen ist Gott missfällig, Jes. 1, 15. Das beste Gebet ist: Gutes thun, daselbst 16.

Wer zerstreut und nur mechanisch betet, derweil er etwas anderes denkt, den hört Gott nicht. Nach einer lustigen Legende blies der unsichtbar im Kloster sitzende Teufel alle Gebetesworte weg, die ohne Andacht nur hergeplappert waren, so dass keines zum Himmel aufsteigen konnte. – Auch muss der Betende, wenn er gleich nicht würdig wäre, wenigstens ernstlich bereuen. Einem Jüngling, der sehr wüst lebte, aber fleissig betete, erschien die Madonna und lud ihn zu einem Gastmahl ein, wobei sie ihm die köstlichsten Gerichte in ekelhaften Schüsseln vorsetzte. Als er sich darüber verwunderte, sagte sie: „Sieh, so sind deine Gebete.“ (Silbert, Legenden I. 313.) – Auch zur rechten Zeit muss man beten. Einem frommen Eremiten brachte ein Engel täglich Weintrauben; diese waren aber zuweilen noch unreif, zuweilen schon faulig. Da nun der Eremit deswegen frug, sagte der Engel: „Es sind deine Gebete, mit denen du zu früh oder zu spät gekommen.“ (v. Lassberg, Liedersaal III. 466.)

Am uneigennützigsten und edelsten sind die Fürbitten für Andere. Man hat davon schöne Legenden. Geyler von Kaisersberg erzählt in der Emeis S. 39. von einem Ritter, der nie über einen Kirchhof ging, ohne für die Todten daselbst zu beten. Da sey er einmal, von grimmigen Feinden verfolgt, über einen Kirchhof geflohen, und plötzlich hätten sich die Todten in Harnischen und Waffen erhoben, um ihm beizustehen und seine Feinde zu vertreiben. Im alten lateinischen Gedicht von Waltharius kommt der schöne Zug vor, dass Walther nach der Schlacht alle von ihm in ehrlichem Kampf Erschlagenen auf einen Haufen legt und andächtig für das Heil ihrer Seelen betet. Bei Helyot findet sich die seltsame Sage von einem Mönch und einer Nonne zu Vienne, die sich vergangen hatten und nach der Sitte

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_313.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)