Seite:Clavigo. Ein Trauerspiel (Goethe) 1774 - 006.jpg

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Carlos. Wir Spanier wenigstens haben keinen neuern Autor, der so viel Stärke des Gedankens, so viel blühende Einbildungskraft mit einem so glänzenden und leichten Styl verbände.

Clavigo. Laß mich! Ich muß unter dem Volke noch der Schöpfer des guten Geschmaks werden. Die Menschen sind willig, allerley Eindrücke anzunehmen, und ich habe einen Ruhm, ein Zutrauen unter meinen Mitbürgern, und, unter uns gesagt, meine Kenntnisse breiten sich täglich aus; meine Empfindungen erweitern sich, und mein Styl bildet sich immer wahrer und stärker.

Carlos. Gut, Clavigo! Doch, wenn du mir’s nicht übel nehmen willst, so gefiel mir damals deine Schrift weit besser, als du sie noch zu Mariens Füssen schriebst, als noch das liebliche, muntere Geschöpf auf dich Einfluß hatte, ich weis nicht, das Ganze hatte ein jugendlicheres, blühenderes Ansehn.

Clavigo. Es waren gute Zeiten, Carlos, die nun vorbey sind. Ich gestehe dir gern, ich schrieb damals mit offenerm Herzen, und wahr ist’s, sie hatte viel Antheil an dem Beyfall, den das Publikum mir gleich Anfangs gewährte.

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Johann Wolfgang von Goethe: Clavigo. Ein Trauerspiel. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clavigo._Ein_Trauerspiel_(Goethe)_1774_-_006.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2019)