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So wird der Brand durch Scham noch aufgestört.

82
Im Zwittertriebe waren wir entglommen;

Und weil wir menschliches Gesetz verlacht,[1]
Von thierischen Gelüsten eingenommen,

85
Drum rufen wir, auf eigne Schmach bedacht,

Des Weibes Namen aus, wenn wir uns trennen,
Das sich im Viehgebild zum Vieh gemacht.

88
Nun hörtest du mich unsre Schuld bekennen,

Doch unsre Namen kund zu thun verbeut
Die Zeit, auch wüßt’ ich alle nicht zu nennen.

91
Wer ich bin, höre, wenn es dich erfreut,

Guid’ Guinicell, zur Läut’rung zugelassen,[2]
Weil ich vor meinem Tod die Schuld bereut.“ –

94
Wie hergestürzt, die Mutter zu umfassen,[3]

Die Söhne, da sein Schwert Lykurgus schwang,
So wollt’ ich thun, (nur mußt’ ich mehr mich fassen),[4]

97
Als meines Vaters Name mir erklang,

Des Vaters von so Manchem, der vom Minnen,
Wie ich, in süßen holden Weisen sang.

100
Ich ging und sah ihn an in tiefem Sinnen,

Und sagte nichts und hörte keinen Laut,


  1. [83 ff. „Menschliches Gesetz“. Dies möchte darauf deuten, daß hier vorwiegend nicht unnatürliche Laster, welche Dante Verfehlungen gegen das göttliche Gesetz nennen würde, sondern ungemessene natürliche Sinnlichkeit gemeint, was im Zusammenhange des Fegefeuers und der sonst achtungsvollen Redeweise Dante’s von und mit diesen Leuten, V. 72, 97 ff. 112 ff. 136 ff., besser paßt. Der „Zwittertrieb“ V. 82 und das derbe Beispiel der Pasiphae, V. 40 ff. 85 ff., würde dann mit Recht besagen, daß Dante in jenem Fehler ebenfalls eine thierische Erniedrigung des Menschen finde, die auch an sonst Gutgesinnten abgethan werden muß. – Freilich erlaubt der, wie wir aus Hölle Ges. 15 sahen, in Rücksicht auf Sodomiterei trostlose Zustand des Mittelalters, nicht, jenes Laster hier ganz auszuschließen!]
  2. 92. Guido Guinicelli, einer der besseren frühesten Dichter, welchem Dante selbst sowohl in seinem Convito, als in seiner Abhandlung de vulgari eloquio großes Lob beilegt. (cf. Ges. 11, 97.)
  3. [94. Hypsipyle (vergl. Hölle 18, 82. Fegef. 22, 113) durch deren Schuld des Lycurg von Nemea Sohn umgekommen war, wurde aus dessen Händen durch ihre zwei Söhne gerettet, welche, zuerst mit Lycurg gegen sie losstürzend, sie plötzlich erkannten und an ihre Brust eilten.]
  4. [96. „Nur mußt’ ich etc.“ wegen des Feuers! V. 103.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_345.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)