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58
Und jeder Tausch der Bürd’ ist Gott verhaßt,[1]

Wenn, die wir nehmen, die wir von uns legen,
Nicht so, wie Sechs die Vier, voll in sich faßt.

61
Drum, ziehet das, was man gelobt, beim Wägen

Jedwede Waag’ herab durch sein Gewicht,
So giebt’s auch nirgendwo Ersatz dagegen.

64
Scherzt, Sterbliche, mit dem Gelübde nicht.

Seid treu, doch seht euch vor; denn schwer beklagen
Wird’s Jeder, der wie Jephtha, blind verspricht.

67
Ihm ziemt’ es besser: Ich that schlimm! zu sagen,

Als, haltend, schlimmer thun – und gleiche Scham
Sah man davon den Griechenfeldherrn tragen,

70
Drob Iphigenia weint’ in bitterm Gram,

Und um sich weinen Weis’ und Thoren machte,
Ja, Jeden, der von solchem Dienst vernahm.

73
Sei nicht leichtgläubig, Christenvolk, und trachte,[2]

Nicht wie der Flaum im Windeshauch zu sein;
Daß dich nicht jedes Wasser wäscht, beachte!

76
Das alt’ und neue Testament ist dein,

Der Kirche Hirt ist Führer ihren Söhnen,
Und dieses gnügt zu eurem Heil allein.

79
Und heißt die schlechte Gier euch Anderm fröhnen,

Nicht Schafe seid ihr, eurer unbewußt;
Drum laßt vom Nachbar Juden euch nicht höhnen.[3]


  1. 58–63. Wenn der gelobte Gegenstand von solchem Werthe ist, daß er durch nichts Anderes ersetzt werden kann, so ist ein solcher Ersatz auch gänzlich unmöglich. Denn das, was wir zum Ersatz bieten, muß das Gelobte seinem Werthe nach ganz in sich fassen.
  2. [73–78. Nachdem D. in V. 64 vor leichtsinniger Eingehung von Gelübden gewarnt, fährt er hier mit der Warnung vor leichtfertiger Lösung der einmal eingegangenen fort. Dabei hat er in V. 75 ohne Zweifel gewissenlose Priester im Auge, welche zu solch’ leichtfertiger Lösung behülflich waren, und weist V. 76 ff. auf die h. Schrift als sichere Norm und auf Christum den wahren Kirchenhirten – eine Stelle von reformatorischer Bedeutung, ob auch das Bibellese-Verbot damals noch nicht so streng gehandhabt war, als nach dem tridentinischen Concil!]
  3. 81. Die Juden, auf welche die Priester wenig Einfluß haben, weil ihre Gesetze ihnen zur Richtschnur dienen, haben Ursache, die Christen, unter welchen sie wohnen, zu verlachen, wenn diese dem Pfaffen mehr glauben, als dem Worte Gottes.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_425.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)