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52
Doch deinen Geist, gleich einem Netz, umflicht

Gedank’ jetzt und Gedank’ in engem Kreise,
Aus dem er sehnlich Lösung sich verspricht.

55
Der Rache Recht war klar in dem Beweise,

Denkst du; doch weshalb wählt’ in seiner Macht
Gott zur Erlösung eben diese Weise?

58
Der Schluß, mein Bruder, birgt sich dem in Nacht,[1]

Dem nicht, wenn hell der Liebe Flammen brennen,
Die Glut den Geist zur Mündigkeit gebracht.

61
Vernimm deshalb, weil wenig zu erkennen,

Obwohl der Blick sich häufig spähend müht,
Warum die Art die würdigste zu nennen.

64
Die ew’ge Güt’, in sich nie neidentglüht,[2]

Zeigt, wenn im All sich ihre Schönheit spiegelt,
Wie sie die Funken eigner Glut versprüht.

67
Was ihr unmittelbar entströmt – verriegelt[3]

Ist dem des Todes Thür, und fest und treu
Ist das Gepräge, wenn sie selber siegelt.

70
Was ihr unmittelbar entströmt, ist frei,

Ist völlig frei, und deshalb wohnt dem Neuen
Die Kraft nicht, es zu unterjochen, bei.

73
Je mehr’s ihr gleicht, je mehr muß sie’s erfreuen;

Drum will die heil’ge Glut, das Licht der Welt,
Auf’s Aehnlichste den hellsten Schimmer streuen.

76
In allem dem ist hoch der Mensch gestellt,

  1. 58 – 63. Der Geist bemüht sich vergebens, das göttliche Geheimniß zu erkennen, wenn er nicht gereift ist in der Glut der Liebe.
  2. [64. Herrlicher Ausdruck für den Gedanken, daß Schöpfung (wie Erlösung) nur ein Werk der neidlos und grenzenlos sich manifestirenden göttl. Liebe sei.]
  3. [67 ff. Daher auch die unmittelbar aus Gottes Hand erschaffenen Dinge (im Unterschiede von der mittelbaren elementaren Schöpfung V. 121 ff.) mit den höchsten und kostbarsten Vorzügen der Unsterblichkeit, der Freiheit von jedem „Neuen“, d. h. von den Gesetzen der niederern, mittelbaren Schöpfung, und der Gottähnlichkeit ausgestattet sind – und so auch der Mensch im paradiesischen Zustand V. 76. Durch die Sünde verlor er dann die beiden letzten. Nur die Unsterblichkeit blieb ihm, der Seele wie dem Leib, was V. 145 noch wiederholt betont wird.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_437.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)