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Erschaffner Lieb’ an ewiger geweiht.[1]

19
Nicht müßig vorher seine Kräfte ruhten;

Kein „Vorher“ gab’s, kein „Nachher“, er’ ergoß
Der Geist des Herrn sich, schwebend ob den Fluten.

22
Und Form und Stoff, rein und vermischt, entsproß

Durch einen Act in’s Dasein und vollkommen,
Drei Pfeile von dreisehnigem Geschoß.

25
Und wie im Wiederschein des Strahls, vom Kommen

Zum vollen Sein, kein Zwischenraum zu sehn,
Wenn rein Krystall im Sonnenglanz entglommen;

28
So ließ der Herr hervor drei Strahlen gehn,

All’ im vollkommnen Glanz zugleich gesendet,
Und sonder Unterscheidung im Entstehn.

31
Der Wesen Ordnung ward zugleich vollendet,

Und hoch am Gipfel wurden die gereiht,
Welchen Er reine Thätigkeit gespendet.

34
Die Tiefe ward reiner Empfänglichkeit,

Empfänglichkeit und Thatkraft ist mittinnen,
Verknüpft und nie von diesem Band befreit.

37
Zwar Hieronymus läßt vom Beginnen

Der Engel bis zu dem der andern Welt
Den Zeitraum von Jahrhunderten entrinnen;

40
Doch läßt die Wahrheit, die ich dargestellt,

Sich vielfach aus der heil’gen Schrift bewähren,
Wie’s dir auch, wenn du wohl bemerkst, erhellt.

43
Auch die Vernunft kann dies beinah’ erklären;

Nicht konnten ja so lang, so folgert sie,
Die Lenker deß, was lenkbar ist, entbehren.

46
Der Liebesschöpfung Wo und Wann und Wie

Erkennst du nun, so, daß in dem Gehörten
Dir schon dreifache Labung angedieh. –

49
Allein bevor man Zwanzig zählt, empörten[2]

  1. [18. Wörtlich: „Gott erschloß seine ewige Liebe in neuen Lieben,“ womit also die, ebenso schöne als kühne Wendung von Streckfuß dem Sinn nach stimmt. Ebenso bei andrer LA: „in neun“ Lieben = neun Engelchören.]
  2. [49–81. 127–145. Von der Schöpfung der Engel kommt die Belehrung der Beatrix auf den Fall der bösen und die Bewahrung [578] und Erhöhung der gebliebenen, guten Engel, anhangsweise auf einige Fragen über deren Wesen (70–81) und Unzählbarkeit (127–Ende). – Der Fall des Luzifer mit seinen Genossen, wodurch die „Unterlage unsrer Elemente, die Erde, aufgewühlt wurde“ (Hölle 34, 121 ff.; Parad. 19, 46 ff.), geschah unverweilt nach der Erschaffung, gemäß damaliger Annahme, welche man auf Joh. 8, 44 gründete: V. 49–51. Die gebliebenen Engel aber traten sofort ihr Amt der Himmelslenkung und -Bewegung an, V. 52–54 und wurden „durch Gnade und ihr Verdienst“ zugleich erhöht zu höherer und unverlierbarer Seligkeit, V. 58–63. Denn zwar nicht im Empfang der Gnade, aber in der freien Willens-Mitwirkung zu derselben, liegt ein Verdienst für Mensch und Engel: V. 64–66. (Vgl. Gesang 28, 112 ff., Ges. 20, 40 ff. und Anm. dort.) – Haben die Engel eine Erinnerung, ein Gedächtniß? Diese, ihre Natur betreffende, Frage, will D., offenbar mit Rücksicht auf entgegenstehende Zeitmeinungen, noch dahin entscheiden, daß ihnen das Erinnerungsvermögen an sich nicht abzusprechen sei; aber sie bedürfen dessen nicht, weil ihr Schauen ewig und ohne Unterbrechung im Spiegel Gottes Alles umfaßt, V. 70–81. – In den Zusammenhang und zum Abschluß der ganzen Betrachtung und Belehrung gehört endlich auch, V. 127–145, die Frage über die Zahl der Engel, worüber Anm. zu jenen Versen besonders zu vergleichen ist.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_577.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2020)