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Dein Wort auch ferner hier mich unterweise.

7
Darf man die sehn, die jedes Grab enthält?

Die Deckel, offen schon, sind nicht dawider,
Auch ist zur Wache Niemand aufgestellt.““

10
„Jedweder Deckel sinkt geschlossen nieder,“

Sprach Er, „wenn sie gekehrt von Josaphat,[1]
Mitbringend ihre dort gelassnen Glieder.

13
Wiss’, Epicurus liegt an dieser Statt,

Sammt seinen Jüngern, die vom Tode lehren,
Daß er so Seel’ als Leib vernichtet hat.

16
Befriedigung soll also dem Begehren,[2]

Daß du entdecktest, dies Begräbniß hier,
So wie dem Wunsch, den du verschwiegst, gewähren.“

19
Und ich: „„Mein Herz verberg’ ich nimmer dir,[3]

Nur redet’ ich in bündig kurzem Worte,
Und nicht nur jetzt empfahlst du solches mir.““

22
„Toscaner, du, der lebend durch die Pforte

Der Feuerstadt, so ehrbar sprechend, drang,
Verweil’, ich bitte dich, an diesem Orte.

25
O, ich erkenn’ an deiner Sprache Klang,

Du seist dem edlen Vaterland entsprungen,
Dem ich, ihm nur zu lästig, auch entsprang.“

28
Urplötzlich war dies einem Sarg entklungen,

Drum trat ich etwas näher meinem Hort,
Denn wieder war mein Herz von Furcht durchdrungen.

31
„Was thust du? Wende dich!“ rief er sofort,

[57] „Sieh grad’ empor den Farinata ragen,[4]
Vom Gürtel bis zum Haupte sieh ihn dort!“

34
Ich, auf sein Angesicht den Blick geschlagen,

Sah, wie er hoch mit Brust und Stirne stand,
Als lach’ er nur der Höll’ und ihrer Plagen.

37
Mein Führer, der mich schnell an muth’ger Hand

Durch Gräberreih’n bis zu ihm hin genommen,
Sprach: „Was er fragt, das mach’ ihm klar bekannt.“

40
Er sah mich, als ich bis zum Grab gekommen,

Ein wenig an. „Wer deine Väter? sprich!“
So fragt’ er mich und schien von Zorn entglommen.

43
Gern fügt’ ich dem Befehl des Meisters mich,

Ihm alles unverstellt zu offenbaren,
Da hoben etwas seine Brauen sich.

46
Er sprach darauf: „Furchtbare Gegner waren

Sie meinen Ahnen, mir und meinem Theil,
Und zweimal drum vertrieb ich sie in Schaaren.[5]

49
„„Wenn auch vertrieben, kehrten sie in Eil,““

Sprach ich, „„zweimal zurück von ihrem Fliehen
Doch nicht den Euren war die Kunst zum Heil.““[6]

52
Hier hob’ das Haupt aus seines Grabes Glühen

Ein andrer Schatten plötzlich bis zum Kinn,[7]
Empor sich raffend, schien es, auf den Knieen.


  1. X. 11. Im Thale Josaphat wird nach dem Propheten Joel (Kap. 3 V. 2) das allgemeine Weltgericht gehalten werden. Vgl. Anm. zu V. 118. Ges. 18. Die Ausleger suchen den Grund, aus welchem dann die Gräber sich schließen sollen, darin, daß bis dahin noch neue Ketzer darin aufgenommen werden müssen, mit dem jüngsten Tage aber die Ketzerei, folglich die Nothwendigkeit, die Gräber für neue Ankömmlinge offen zu halten, aufhören werde.
  2. 16. Das entdeckte Begehren ist das, die Bewohner dieser Gräber zu sehen (V. 7). Der verschwiegene Wunsch ist der, das Schicksal einiger seiner Landsleute, deren epikuräische Grundsätze ihm bekannt waren, zu erfahren. – Virgil durchschaut stets Dante’s Gedanken!
  3. 19. Ges. 3, 76 wurde Dante erinnert nicht zu viel und nicht zu voreilig zu fragen.
  4. [57] 32. [Farinata degli Uberti war von ghibellinischem, Dante vom welfischem Geschlechte, obwohl selbst ein eifriger Ghibelline. Daher ihre Ahnen Gegner waren, sie selbst nicht. Im Gegentheil. Unter Farinata’s Leitung erfochten die vorher vertriebenen Ghibellinen in der Mitte des 13. Jahrhunderts an der Arbia die Rückkehr nach Florenz, aber durch eine Hinterlist. Daher der Vorwurf V. 85. Der hochherzige Farinata mäßigte die Wuth seiner Partei (V. 91). Dennoch versetzt ihn der gerechte Dichter wegen seines Epicuräismus hierher!] –
  5. [48. Zweimal. Eben an der Arbia und vorher unter Friedrich II.
  6. 51. Nachher wieder vertrieben, kehrten die Uberti nicht mehr zurück. Alles vor Dante’s Zeit!]
  7. 53. Der hier sich erhebende Schatten ist Cavalcante Cavalcanti, dessen Sohn Guido zu den vertrautesten Freunden des Dichters gehörte. Als der Vater durch Dante’s Antwort auf Farinata’s Fragen vernommen hat, wer der Sprechende sei, vermuthet er, daß, wenn der eine Freund durch die Hoheit seines Geistes in die Hölle eingedrungen sei, auch der andere, sein Sohn, nicht fern sein könne. Das Suchen der väterlichen Augen nach dem Sohne ist V. 55 und 56 sehr plastisch ausgedrückt. Daß Farinata sich bis zum Gürtel, Cavalcante nur bis [58] zum Knie aus dem Grabe erhebt, mag die mehrere und mindere Keckheit und Heftigkeit des Einen und des Andern bezeichen.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 56 bzw. 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_056057.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)