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103
Und locke doch dir leicht statt Eines acht,

Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht.“

106
Da streckt’ ihm Bluthund seine Schnauz’ entgegen,

Und schrie kopfschüttelnd: „Hört die Büberei!
Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen.“

109
Allein der Sünder, reich an Schelmerei,

Sprach: „Wahrlich, bübisch wär’ ich wohl zu nennen,
Trüg’ zu der Meinen Mißgeschick ich bei.“

112
Da hielt sich Senkeflug nicht mehr gleich Jenen;

Im Widerspruch mit Allen hub er an:
„Spring nur hinab! Ich werd’ nicht nach dir rennen,

115
Nein, überm Pech, hasch ich im Flug dich dann!

Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,[1]
Zu sehn, ob mehr als wir der Eine kann.“

118
Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.

Die Blicke wandten sie und sehr bereit
War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.

121
Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,

Stemmt’ ein die Füß’, und war mit einem Satze
Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.

124
Dort standen Alle mit verblüffter Fratze.

Und Jener, der die Schuld des Fehlers trug,
Flog nach und schrie: „Du bist in meiner Tatze!“

127
Umsonst! die Furcht war schneller als der Flug.

Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.

130
So taucht die Ente vor dem Falken nieder,

Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
[127] Zur Luft empor das sträubende Gefieder.

133
Eistreter kam, wie jener sank, sogleich

Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
Und fiel, erboßt von diesem Narrenstreich,

136
Mit seinen scharfen Klau’n auf den Genossen,

Und beide hielten überm Pech voll Wuth
In wilder Balgerei sich fest umschlossen.

139
Doch braucht’ auch Jener seine Krallen gut,

Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
Die sie bewachten, in die heiße Flut.

142
Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,

Doch ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.

145
Und Sträubebart, der sehr betreten war,

Ließ vier der Seinen rasch zu Hilfe fliegen,
Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar

148
Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen,

Wo Jeder den Gesott’nen Hilfe bot,
Doch sahn wir sie fest in der Rinde liegen,[2]

151
Und ließen sie in dieser großen Noth.
_______________

Dreiundzwanzigster Gesang.[3]
VIII. Kreis. 6. Bulge. Heuchler in glänzenden Bleimänteln. Kaiphas. Hannas u. A.

1
Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet,

Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
Wie auf dem Weg ein Minorite schreitet.

4
Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß

Aesopens Fabel ins Gedächtniß bringen,
Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.[4]


  1. [116. 117. Die Teufel wollen Versteckens mit dem Sünder spielen und gehen deshalb hinter den Damm gegen die 6. Bulge hin zurück, wo er sie, der auf der andern Seite, am Rand der 5. Bulge steht, nicht sehen kann.]
  2. [127] [150. Das erkaltete Pech hatte eine Rinde über sie gebildet.]
  3. [XXIII. Nach dem Tumult des vorangehenden Gesanges führt uns der wunderschöne Ges. 23 – in poetisch fein empfundenem Contrast – durch lautlose Räume, beim schweigenden Jammerzug der Heuchler uns zu tiefstem Mitleid sanft bewegend.]
  4. 6. [Der Frosch, erzählt Aesop, band in böswilliger Absicht den Fuß der befreundeten Maus an den seinigen, um sie mit sich ins [127] Wasser zu ziehen und zu ersäufen. Dies gelang ihm auch. Als aber der geschwollene Körper der Maus auf der Wasserfläche von dem Raubvogel bemerkt und weggeholt wurde, da zog dieser auch den Frosch am Faden mit unter dem Wasser hervor und verschlang ihn. – Frosch und Maus sind die beiden Teufel, die V. 136 ff. im vorigen Gesang einander verderben wollen und beide dem Pechpfuhl zum Opfer fallen.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 126 bzw. 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_126127.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)